Echtzeit
die Toilette.
Weißt du, wie spät es ist? Isabell … es ist drei Uhr früh! Was ist denn da passiert? Wo ist der Tag hin? Ich bin sprachlos! Ich habe mir doch eben erst meinen »Carlos Primero« eingeschenkt. Na gut, was soll’s … das Leben läuft und geht dabei – vorbei.
Ich stell mir gerade vor, wie du mit Stefan jetzt eingerollt in deinem Bettchen liegst. In einem Bettchen … verzeih … und schon im Traumland seid. Ja, sag mal, wollt ihr eigentlich Kinder? Was sagt er dazu? Und was sagst vor allem du dazu? Kannst du dir das vorstellen?
Ich könnte es mir vorstellen. Als ich Stefan kennen gelernt habe, war das Erste, das ich getan habe, meine Pillenpackung in den Müll zu werfen. Mit großer Entschlossenheit. Ich war schon drauf und dran, es ihm zu sagen, da bist du mir in die Quere gekommen. Kleiner Scherz.
Stell dir mal vor, wenn du ein wenig später aufgetaucht wärest, dann würde ich jetzt einen kleinen Kerl in seinem Gitterbettchen liegen haben oder eine kleine Prinzessin. Eigentlich egal – Hauptsache, gesund. Hm. Soll das nicht sein?
Ich meine, es gibt ja Frauen, die aus karmischen Gründen keine Kinder bekommen, selbst wenn sie eines wollen. Weil sie eine andere Aufgabe haben in diesem Leben, aber … hm … vielleicht gehöre ich ja zu denen. Vielleicht wartet noch irgendetwas ganz Großes auf mich. Ich meine eine große Aufgabe, bei der mich ein Kind nur abhalten würde, sie voll und ganz auszufüllen. Vielleicht wandere ich ja eines Tages aus und widme mich heimatlosen Straßenkindern in Kalkutta und da würde ein eigenes Kind nur stören, nicht war? Außerdem, man braucht schon den richtigen Mann dazu, denke ich.
Also diese Frauen, die sich von ihrem Fitnesstrainer ein Baby machen lassen, nur weil er eine gute körperliche Genetik hat, so wie Madonna … ich weiß nicht. Ich möchte es, wenn schon, dann von einem Mann, der dann für uns da ist. Für das Kleine und mich.
Außerdem kann ich mir als allein erziehende Mutter gar keine drei Nannys leisten, so wie Madonna oder Angelina – Angelina Jolie. Da werde ich immer echt wütend, weißt du das? In all den Illustrierten läuft sie immer mit einem oder fünf Kindern auf dem Arm rum und rettet die Welt. Der Kinder! Aller Kinder weltweit … Weltweite Kinderrettung. Sie ganz allein! Dass ich nicht lache! Und in Wahrheit wartet im Hintergrund ein ganzes Heer von Bodyguards und Köchen und Nannys und Chauffeuren und Gärtnern und Butlern darauf, die Kleinen in Empfang zu nehmen und zu versorgen, sobald die Fotografen abgezogen sind. Wer weiß denn schon, wie es einer allein erziehenden Mutter wirklich geht?! So wie mir?! Ich meine, wenn ich eine wäre?! Wer?
Aber gut. Jede Prüfung hat eine Sinnhaftigkeit. Und meine Prüfung ist das Alleinsein und ich mag diese Prüfung nicht mehr. Darf ich dir die Wahrheit sagen? Ja, Isabell, darf ich? Ich kann nicht mehr … das ist die Wahrheit. Ich kann nicht mehr. Ich habe alles versucht, was in meiner Macht steht, um diesen Satz niemals sagen zu müssen … Jetzt, jetzt sag ich ihn … ich kann nicht mehr … Ich kann nicht mehr und ich habe keine Kraft mehr, mich dagegen zu wehren. Ich habe mein Leben lang gelächelt … mein Leben lang.
Als ich ein kleines Mädchen war, bin ich immer am Rand der Spielwiese gestanden und habe zugeschaut … zugeschaut, wie die anderen gespielt haben. Alle haben immer miteinander gespielt und ich war nie dabei. Nie, weil ich hässlich war … klein und dick. Mit viel zu vielen roten Haaren und mit viel zu vielen Sommersprossen. Das ist die Wahrheit. Darum wollte keiner mit mir spielen. Ich weiß schon, dass es auch hässliche Buben gibt … schwarzhaarige, die komische Zähne haben oder viel zu dünne blonde Mädchen … und die sind auch am Rand gestanden, aber das ist mir egal. Jetzt ist es mir egal, wer sonst noch traurig ist auf diesem Planeten, weil … ich bin jetzt traurig … ich, nur ich … und ich will, dass das endlich aufhört. Ich habe mich mein Leben lang um die anderen gekümmert und war lustig und fröhlich, um ihnen zu zeigen, dass es nichts Schlechtes ist, wenn ich mitspielen darf. Es hat nie etwas genützt … nie.
Jahrelang bin ich am Abend allein in meinem Bett gelegen und habe aus dem Fenster geschaut, in den dunkelblauen Himmel und manchmal habe ich geweint, um einschlafen zu können und manchmal habe ich gebetet zu meinem Schutzengel. Dass er mich nicht so allein lassen soll. Dass jemand kommen soll, um mich in den Arm zu nehmen. In
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