Echtzeit
Seeteufel und Scampi.
Also habe ich mir gesagt: In Weibergruppen werde ich keinen ganzen Kerl finden. In Männergruppen komme ich aufgrund meines neuen Vorbaues nicht rein – obwohl sie mich wahrscheinlich genau deswegen gerne bei sich hätten. Kleiner Scherz. Also werde ich für meinen Angriff auf den unbekannten Soldaten das aktuelle Medium wählen. Das Internet.
So, jetzt weißt du, wie ich nun schon seit geraumer Zeit mein Leben verbringe. Ich folge einer logischen Schlusskette. Da der Mann, der ewig mögliche Mann aufgrund sehr ähnlicher, traumatisierender Erlebnisse zu genau demselben Rückzug von der Welt gekommen sein muss wie ich – treiben ihn auch dieselben Rettungsphantasien. Er ist einsam. Wie ich. Er hat sämtliche Alternativen der Enteinsamung durch. All das hat ihn nur noch einsamer werden lassen. Wie mich. Und jetzt, in genau dieser Sekunde, sitzt er irgendwo da draußen, in seinem Zimmer und überlegt, ob er den Computer einschalten soll. Er ist natürlich genauso genervt von den unsäglichen Zwischenergebnissen auf dieser einsamen Suche wie ich … und deshalb zögert er wahrscheinlich in genau diesem Moment … so wie ich.
Ich habe in den letzten Zeiten auch immer öfter zu zögern begonnen. Dieses Gefühl gilt es zu bekämpfen. Wenn es sich nämlich einmal durchgesetzt hat, dieses Gefühl, dann ist die Abwärtsbewegung nicht mehr zu stoppen. Das ist wie bei Sport und Gewichtsüberprüfung. Wenn einem die Abnehmergebnisse trotz täglichem einstündigem Laufen in der Fettverbrennungszone zu unsichtbar sind, droht die Gefahr der Resignation.
»Dann eben nicht!«, möchte der kleine Teufel in uns sagen und gönnt sich ein Gläschen Eierlikör. Und am nächsten Morgen das Liegenbleiben im Bett. Wunderbar. Und nach drei Wochen mit Liegenbleiben und Eierlikör ist der Körper so bleiern geworden, dass die Überwindung immer größer werden müsste und darum lässt man es gleich ganz bleiben. Dann hat die Schwerkraft wieder einmal gewonnen. Der Teufel ist die Schwerkraft. Er hat viele Masken auf diesem Planeten, aber eine seiner unbarmherzigsten ist die Schwerkraft. Die Schwerkraft des Körpers genauso wie die Schwerkraft des Geistes und letzten Endes hängen die beiden zusammen. Wenn man den Funken der Resignation in sich trägt, findet er überall trockenes Stroh, um einen alles vernichtenden Brand auszulösen. Den Körper, die Gewohnheiten, die Einstellung zum Alltag, die Hoffnung.
Die Hoffnung greift der Teufel am liebsten an. Sie stirbt zwar zuletzt, aber sie ist das erste Ziel. Ein Primary Target – um in der Bombersprache zu bleiben. Warum? Weil es die Hoffnung ist, die uns die Laufschuhe anziehen lässt … die Hoffnung ist es, die uns den fettigen Burger aus der Hand nimmt und gegen einen Apfel austauscht. Die Hoffnung ist es, die uns vor dem Spiegel stehen und Wimpern zupfen lässt. Die Hoffnung flüstert uns einschmeichelnd ins Ohr: »Wenn du attraktiv und gut gelaunt bist, gepflegt und rasiert, gepudert und duftend, dann wird er dich leichter finden. Dein Traummensch. Wenn du heiteren Gemütes bist und mit blendendem Lächeln vor das Haus trittst, wird er dich nicht übersehen können. Wenn du dreihundert Prozent gibst, dann brauchst du dir um das Echo keine Sorgen zu machen …«
Ja, all das flüstert uns die Hoffnung zu. Und darum laufen wir und pudern wir und schneiden uns Fett weg und wenn wir könnten, würden wir uns ein Einhorn an die Stirn implantieren lassen … nur um aufsehenerregend zu sein … und dann … und trotzdem passiert nichts …
Seltsam. Ich sehe so viele gepflegte, durchtrainierte, lächelnde Siegertypen und alle sind sie trotzdem bitterlich alleine. Alle – fast alle.
Du ja nicht, Isabell. Aber du bist ja auch schon mit einem goldenen Einhorn geboren. Einem unsichtbaren. Kleiner Scherz.
Woran mag das liegen? Da tun alle fast alles, was man tun kann, um zu siegen und verlieren alles … fast alles. Die Hoffnung verlieren sie als Letztes. Und gerade sie war doch ihre treueste Begleiterin. Das ist ein sehr eigenartiges Rätsel des Universums.
Aber wie auch immer – eine der logischen und vor allem empfindsamen Reaktionen auf all die offensichtliche Sinnlosigkeit, sich anzustrengen, ist es – es bleiben zu lassen. Die Anstrengung. Und einen Eierlikör zu trinken. Großer Scherz.
Ab einem gewissen Zeitpunkt ist es sehr schwer, vor der eigenen Intelligenz Maßnahmen zu rechtfertigen, die offensichtlich erfolglos bleiben. »Dauertraining als Vorstufe zur
Weitere Kostenlose Bücher