Ecstasy: Drei Romanzen mit chemischen Zusätzen (German Edition)
kein Vertun.
Ich komm zurück nach Haus und hab ne dämliche Nachricht auf dem Scheißanrufbeantworter. Es ist meine Mum, die mich sonst nie anruft. Sie hört sich echt voll fertig an, – Komm schnell vorbei, Junge. Es ist was Schreckliches passiert. Ruf mich an, sobald du zu Haus bist.
Meine alte Mama; hat niemals irgendwem was Böses getan, in ihrem ganzen Leben nicht, und was hat sie nun davon? Gar nichts. Ne Homosau dagegen, die aus den ganzen Kindern Krüppel gemacht hat, so Typen kriegen alles. Dann überleg ich, was bei meiner Mum nicht stimmen könnte, und denk an den alten Sack, den versoffenen alten Penner. Wenn der meiner Mum wehgetan hat, wenn er meiner armen, alten Mutter auch nur ein Haar …
London, 1991
Drei Jahre war es her. Drei Jahre, und endlich würde er sie besuchen. Telefonate hatte es wohl gegeben, aber nun würde sie Andreas tatsächlich sehen. Das letzte Mal war bei ihrem einzigen gemeinsamen Wochenende in fünf Jahren gewesen. Ein einziges Wochenende seit Berlin, seit sie gemeinsam das Emmerich-Baby abgeschlachtet hatten. Damals hatte irgendetwas in ihr ausgehakt, seine Sticheleien hatten sie zu blutiger Raserei getrieben. Sie hätte alles für ihn getan. Sie hatte es getan. Das Blut des Kindes, der bittere Messwein ihrer kranken Beziehung.
Der Witz war, dass sie sich insgeheim ausgemalt hatte, das Baby zu behalten. Gemeinsam in Berlin zu wohnen, ein Tenazadrinpaar mit Baby. Sie hätte eine der Mütter im Tiergarten in den langen, schläfrigen Sommermonaten sein können. Aber er wollte das Baby als Opfergabe, als Beweis ihrer bedingungslosen Hingabe an das, was sie vorhatten.
Als sie das Baby umbrachte, starb ein Teil von ihr mit ihm. Als sie seinen kleinen, zerstörten, armlosen Körper betrachtete, begriff sie, dass damit auch ihr Leben endgültig vorbei war. Sie fragte sich, ob es überhaupt je begonnen hatte. Sie versuchte sich an Zeiten zu erinnern, in denen sie wirklich glücklich gewesen war; sie erschienen ihr wie beschämend kleine Inseln des Friedens in einem Meer der Qual. Nein, es gab keine Aussicht auf Glück, nur die Gelegenheit zu weiterer Vergeltung. Andreas sagte stets, man müsse das Ich, das Ego überwinden. Werkzeuge des Wandels konnten nicht glücklich sein.
Samantha hatte unter Schock gestanden, war selbst fast zwei Jahre lang so gut wie katatonisch gewesen. Als sie aus dieser Trance erwachte, wurde ihr klar, dass sie Andreas nicht mehr liebte. Mehr noch, sie fand keine Liebesfähigkeit mehr in sich. Sie würde Andreas zum ersten Mal seit drei Jahren wiedersehen, und alles, woran sie denken konnte, war Bruce Sturgess.
Jetzt hatten sie Sturgess aufgespürt. Er gehörte ihr. Für Andreas, gestand sie sich ein, empfand sie nichts mehr. Alles, was sie wollte, war Sturgess. Er war der Letzte.
Der andere, der in dem Cottage in Wales, hatte es ihnen leicht gemacht. Er war zu sorglos gewesen. Sie hatten ihn in der Lounge Bar im Dorf gesehen. Sie hatte immer geglaubt, wenn sie durch dies Fenster klettern würde, würde sie Angst empfinden. Aber nein, nichts. Nach dieser Sache in Deutschland, nichts.
Andreas kam an die Tür. Teilnahmslos registrierte sie, dass sein Haar dünner geworden war, sein Gesicht aber hatte seine jugendliche Frische behalten. Er trug eine Brille mit Stahlfassung.
– Samantha, er küsste sie auf die Wange. Sie erstarrte.
– Hallo, sagte sie.
– Warum so traurig?, fragte er lächelnd.
Sie blickte ihn einen Moment an.– Ich bin nicht traurig, sagte sie,– nur müde. Dann sagte sie ihm ohne Bitterkeit,– Weißt du, du hast mir mehr von meinem Leben genommen als diese Tenazadrin-Clique. Aber ich hasse dich nicht dafür. Es musste so kommen. So reagiere ich nun mal auf all das, das ist meine Natur. Manche Menschen können den Schmerz vergessen, aber nicht ich. Ich will Sturgess. Danach werde ich irgendeine Art von Frieden finden.
– Es kann keinen Frieden geben, solange ein Wirtschaftssystem, das auf Ausbeutung basiert …
– Nein, sie hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen,– Die Verantwortung dafür kann ich nicht übernehmen, Andreas. Dazu habe ich keinen emotionalen Bezug. Ich kann keinem System die Schuld geben. Menschen kann ich die Schuld geben; ich kann nicht so weit von mir selbst abstrahieren, meinen Zorn an einem System auszulassen.
– Und genau das ist der Grund dafür, dass du immer Sklavin des Systems bleiben wirst.
– Ich will nicht mit dir diskutieren. Ich weiß, warum du hier bist. Lass die Finger von
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