Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
Vom Netzwerk:
bevor es hell wurde, an Emilys Tür und erklärte ihr, irgendein Perverser stelle ihr nach. Emily, in einem Klein-Mädchen-Pyjama, kochte erst einmal zwei Tassen Kamillentee. Sie redeten bis acht Uhr früh. Danach traf Emily sich wie jeden Sonntag mit zwei Kolleginnen von Microsoft zu einer Tasse Kaffee, einer Runde Laufen im Fitness-Studio und zum anschließenden Brunch, während Diane in Emilys Fernsehsessel saß und aus dem Fenster starrte. Wie vermutet tauchte Ron Dominick auf. Er sprang die Treppe hoch, nahm dabei drei Stufen auf einmal und klopfte an Dianes Tür. Als niemand öffnete, versuchte er durch den Spalt zwischen denVorhängen zu spähen und schielte durch den Türspion. Er klopfte noch einmal, dann setzte er sich auf den Treppenabsatz, die Ellbogen auf den Knien, jederzeit bereit aufzuspringen.
    Sie versteckte sich den ganzen Tag über in Emilys Apartment und beobachtete die Umgebung. Emily brachte zum Trost eine Karamellschnecke, eine Flasche frisch gepressten Orangensaft und Kaffee mit. Jetzt waren ihre Rollen vertauscht. Diane war eingeschüchtert, verängstigt, am Boden zerstört und bedrückt, während Emily Schwung und ein dickes Portemonnaie hatte, jedenfalls dick genug, um Diane, nachdem Ron um neun Uhr abgezogen war, zum Essen in Belltown einzuladen. Das Mädchen, das sie zu ihrem Tisch brachte, war halb so alt wie Diane, und ihr Paillettenkleid saß so eng am Körper wie die Haut einer Meerjungfrau. In der durch eine große Glasscheibe abgetrennten Küche standen jede Menge Köche, die wie englische Butler verschämt zur Seite blicken mussten. War dies ihr Schicksal? Das Dienstleistungsgewerbe? Als ihr Essen kam, Heilbutt in einer Limonen-Pflaumen-Soße, musste sie an ein Abendessen mit Jim Long denken. Der gute alte Jim hatte felsenfest an Restaurants geglaubt. Für ihn war ein Abendessen im Restaurant eine der großen Belohnungen im Leben. Nun, auch das hatte sie falsch angepackt, denn sie hatte ihre Eintrittskarte für die privilegierte amerikanische Welt verspielt. Wenn sie doch nur immer noch Mrs Long wäre.
    »Ich sage es nicht gerne«, gestand Diane Emily, »aber ich glaube, ich muss meine Wohnung in The Palms aufgeben. Ich kann es mir nicht mehr leisten.«
    »Bitte nicht«, sagte Emily. »Ich würde eine Freundin verlieren.«
    Es machte das Ganze nur noch deprimierender. Ihre einzige Freundin auf der Welt war ein ehemaliges Mauerblümchen mit einer Dauerwelle. Wem sonst würde es etwas ausmachen, wenn sie auszog, außer ein paar Koksern, die sich nach einem neuen Dealer umschauen müssten? »Wie soll ich überhaupt eine neue Wohnung finden?«, fragte sie. »Wo ich im Augenblick vollkommen blank bin.«
    »Kein Problem, Di. Meine Aktien stehen bei knapp einer halben Million. Ist das nicht unglaublich?«
    Es war unglaublich. Aber wie üblich war die Welt ungerecht. Entweder man war zur rechten Zeit am rechten Ort oder eben nicht. Es hatte nichts damit zu tun, ob man etwas verdiente oder nicht verdiente. Emily hier hatte eine halbe Million Dollar, und Diane hatte – was? Eine halbe Flasche Gilbey’s und ein paar Büchsen geräucherte Venusmuscheln, die ihr der verdammte Club gelassen hatte. Um zwei Uhr früh floh Diane aus The Palms, den Fernseher auf der Rückbank ihres Wagens und mit einem Scheck über 750 Dollar, den Emily ihr zugesteckt hatte. Sie ging in ein 24-Stunden-Schnellrestaurant, und als es hell wurde, machte sie sich auf die Suche nach einer Wohnung. Sie fand ein möbliertes Studio für zweihundert Dollar im Monat in Bellevue, das sie unter dem Namen Diane Long mietete, um sich vor Ron Dominick zu verstecken. Vom schmalen Balkon ihrer armseligen Wohnung aus sah sie auf einen abgesperrten Stellplatz für Mülltonnen, in denen Krähen und Ratten stöberten. Dann ging sie wieder hinein und schwelgte in Selbstmitleid. Genau genommen machte sie in den folgenden zehn Tagen kaum etwas anderes. Sie lag unter einer Decke und sah fern. Ihre Einschlafbemühungen entwickelten sich zu einem wahren Fetisch, der nach genau platzierten Kissen, dünnen Baumwollsocken, billigem Gin und Nightwatch verlangte. Siebzig tausend Dollar! … Wenn sie diesen Schweinehund eines Tages zu fassen bekäme … Morgens machte sie sich hundemüde einen Instantkaffee, der so schmeckte wie früher der Ersatzkaffee ihrer Mutter. Der Geruch bestätigte sie in dem Gefühl, dass sie trotz aller Anstrengungen genau wie ihre Mutter geworden war, bis hin zum Fernsehen und dem billigen Gin.
    Zugleich befeuerte

Weitere Kostenlose Bücher