Ed King
ist doch nichts dabei«, erklärte Ed, als er vom Lob des Rabbis hörte.
Am Tag von Eds Bar-Mizwa füllten fünfhundertfünfzig Besucher die Synagoge. Da stand er nun vor der versammelten Gemeinde, in einem neuen Anzug und glänzenden Schuhen, der leibliche Sohn von Walter Cousins und Diane Burroughs und der Adoptivsohn agnostischer Juden, und sprach auf Hebräisch von der rituellen Heilung Aussätziger, zu der Tauben, Ysop, geschorenes Haar und geopferte Lämmer gehörten.
»Mit dem heutigen Tag bin ich ein Mann«, sagte Ed in einer improvisierten Einleitung zu der vorbereiteten Rede, an der Alice drei Nächte lang gearbeitet hatte. »Mein Thora-Abschnitt aus dem Buch Levitikus, Kapitel 14 und 15, berichtet davon, dass Gott in seiner unendlichen Weisheit den Aussätzigen heilt und in die Gemeinschaft Israels zurückholt. Warum aber drei Zehntel Feinmehl mit Öl vermengt als Speiseopfer? Warum zwei Turteltauben oder zwei junge Tauben, je nach den Mitteln des Kranken?« Er machte eine Pause, um die Fragen beim Publikum sacken zu lassen. Fast alle lächelten Ed zu, und er blickte in lauter zustimmende Gesichter. »In unserer heutigen Welt machen solche Fragen keinen Sinn, wenn wir sie wortwörtlich nehmen«, sagte er. »Wir müssen vielmehr nach ihrer tieferen Bedeutung und ihrem symbolischen Gehalt fragen. Gott verfolgt immer eine tiefere Absicht, und wenn ER sagt, der Priester solle etwas Blut vom Schlachtopfer auf das rechte Ohrläppchen des Aussätzigen tun sowie auf den Daumen seiner rechten Hand und auf die große Zehe seines rechten Fußes, so müssen wir uns fragen, was Gott damit tatsächlich sagen will.«
Er machte erneut eine Pause. Ein paar Leute nickten. Ed blätterte zur nächsten Seite von Alice’ Manuskript. »Der Herr ist geheimnisvoll«, sagte er. »Der Aussätzige kann nichts dafür, dass er von der Krankheit befallen ist. In früheren Zeiten wurden die Aussätzigen aus der Gemeinschaft verbannt. Sie hatten keine Chance. Sie wurden gemieden und starben in Einsamkeit. Wer von Aussatz befallen wurde, dessen Leben war vorbei. Er wachte eines Morgens mit einem Fleck auf der Haut auf, und alles war zu Ende.«
Noch mehr Leute nickten. Auch Ed nickte, als bedauere er gemeinsam mit der Gemeinde die finstere, ungerechte Vergangenheit. »Nun gut, der Reinigungsprozess klingt seltsam, wenn nicht gar lächerlich und unsinnig. Da spricht Gott zu Moses, dass, wenn ein Jude das Haus eines Aussätzigen reinigen will, er einen Priester holen soll und der Priester zwei lebende Vögel, Zedernholz, Karmesin und so weiter zu dem Haus bringen soll. Dann soll er einen Vogel über einem Tongefäß mit Quellwasser schlachten, alles andere in das Blut des geschlachteten Vogels tauchen und das Haus mit dem Blut und dem Wasser siebenmal besprengen.« Noch mehr lächelnde Gesichter, leises Gekicher und verständiges Nicken. Auch Ed lächelte und winkte seiner Großmutter zu. »Hier müssen wir uns Gott wie den Zauberer von Oz vorstellen«, sagte er, »der Orden und Auszeichnungen verteilt. Abrakadabra, zwei Vögel, siebenmal sprenkeln, ein bisschen Karmesin, einen Zweig Ysop und presto! – der Aussätzige gehört wieder zu uns, er muss nicht hinaus in die Wüste gehen, Gott weist den Weg für eine unglaubliche Alija, so wie er den Juden den Weg ins Gelobte Land gewiesen hat und 1948 ins Ha’aretz Israel . Gott hat einen Plan, und sein Wahnsinn hat Methode, selbst wenn wir den Eindruck haben, es sei nichts als Schall und Rauch, selbst wenn wir nur geschlachtete Vögel und Wasser sehen. Aber wenn ihr genau darüber nachdenkt, ist es so viel anders als eine Bar-Mizwa? Hier stehe ich, sage die magische Formel und presto! – mit dem heutigen Tag bin ich ein Mann.«
Noch eine Pause. Ed kam zur letzten Seite seiner Rede. Bestätigendes Gemurmel und leises Lachen. Ed sah, wie Pop sich mit dem Taschentuch über die Augen wischte, die Brille in der Hand. Noch ein paar andere Leute weinten, aber der Großteil der Gemeinde sah ihn strahlend an.
»Tatsächlich«, sagte Ed, »bin ich genau derselbe Junge wie vor einer Stunde, bis auf den Ritus, meine persönlichen geschlachteten Vögel und Opferlämmer, meine Bar-Mizwa, der ihr, meine Freunde und Verwandte, als Zeugen beigewohnt habt. Vielen Dank, dass ihr gekommen seid.«
Normalerweise wurde in der Synagoge nicht geklatscht, aber einige Leute taten es trotzdem. Jemand rief sogar laut: »Bravo! Großartig!«, bevor Ed mit der langen Liste der Danksagungen begann.
Zehnjährige
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