Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
Vom Netzwerk:
ihrer Unterhaltung von den verzwickten Details seiner täglichen Arbeit zu … nun, wie sollte er es nennen? Naives Teenager-Denken? Wertvorstellungen einer Highschool-Schülerin? »Glaubst du denn«, sagte er, »Leute aus der Wirtschaft seien tot? Leute aus der Wirtschaft hätten kein Leben?«
    Tina, das sah er, unterdrückte ein Lächeln – ihr spöttisches, besserwisserisches, vegetarisches Dichterinnenlächeln, mit dem sie ihn manchmal quälte. Ab und an sah sie Lydia ein bisschen ähnlich, dachte er, nur ging dies über Lydia weit hinaus, dieses freche, herablassende innerliche Lachen, dieser höhnische, überlegene und stumme Spott, diese bodenlose Verdammung und Verachtung. »Du bist sauer auf mich«, sagte Tina.
    »Vielleicht solltest du ein Gedicht drüber schreiben.«
    Sie schrieb ein Gedicht, das sie »Finanzrückstellungen« nannte und das mit den Zeilen begann: »Er berechnet Finanzrückstellungen für die, / die keine Rückstellungen brauchen, / und hat mit der amerikanischen Hochfinanz / seinen faustischen Pakt geschlossen«, und endete mit dem Satz: »Es kommt der Tag der Vergeltung.«
    Als Walter zu Lydia sagte, Tina verachte ihn, erwiderte Lydia in ihrem duldsam-leidenden Ton: »Was hast du erwartet, Walter? Niemand kommt mit seinen Untaten ungeschoren davon.«
    Zu seinem neunzehnten Geburtstag schenkten Walter und Lydia Barry einen Gebrauchtwagen, der weniger als fünfzigtausend Meilen gelaufen hatte. Nachdem er zwei Jahre in Restaurantküchen gearbeitet hatte, überlegte Barry, an ein Community College zu gehen. Er trug jetzt ausschließlich schwarze Kleidung, wozu zeitweilig schwarze fingerlose Handschuhe und eine schwarze Melone gehörten. Außerdem stand er auf Armbänder, Sicherheitsnadeln, Nietengürtel, Stachelarmbänder, Hundemarken und Kampfstiefel. Seine Hose zierten Ketten, Ringe, Schnallen, ein kleiner Totenschädel an einem Band und ein Paar Handschellen. Hinten an seiner Hose war eine große, hochgeknöpfte Heckklappe. Barry hatte verschiedene Frisuren ausprobiert und sich zuletzt für schwarze Spikes nach dem Vorbild der Freiheitsstatue entschieden, die mit Aqua-Net-Haarspray in Form gehalten wurden. Er wollte gerne ans North Seattle Community College, da Freunde in der Nähe wohnten, aber ihm fehlte das nötige Geld.
    Sie gaben es ihm. Im Herbst schrieb er sich für Kurse in Musikverständnis, Soziologie und Englisch ein, und im Winter belegte er Musikverständnis II, Musiktheorie und Geschichte der modernen Musik. Gelegentlich rief er zu Hause an, um kurz hallo zu sagen und dann von einem Problem mit seinem Wagen zu berichten, seine allgemeine finanzielle Not zu schildern oder Lydia zu bitten, etwas für ihn zu nähen. Wenn Lydia ihn zum Essen einlud, sagte er fast immer nur, er habe andere Pläne, aber ab und an tauchte er doch auf und brachte säckeweise Wäsche mit. Während des Essens nutzte er den direkten Kontakt mit seinen Eltern, um die Probleme mit dem Wagen wieder aufzugreifen, bis Walter ihm anbot, einen Blick unter die Haube zu werfen. Bevor Barry ging, stöberte er im Keller in dem Haufen Müll, den er zurückgelassen hatte, nach brauchbaren Dingen.
    1977 kam Barry an Thanksgiving nicht nach Hause, weil er mit Freunden zu irgendeiner Musikveranstaltung wollte. Weihnachten jedoch erschien er, genau wie Tina, die inzwischen in einem Wohnheim an der University of Washington anstatt bei ihren Eltern wohnte, was billiger gewesen wäre. »Undankbares Volk«, murmelte Walter in der Küche Lydia zu, nachdem die Kinder gleichgültig ihre Geschenke ausgepackt hatten. »Immerhin sind sie da«, erwiderte Lydia.
    Tina schenkte Walter einen gebrauchten Tennisschläger und Tennisbälle, und Barry schenkte ihm ein Duftbäumchen mit Kiefernnote für den Wagen, drei Dreiviertelliterflaschen Bier, Untersetzer und eine Mundharmonika, auf der er gekonnt eine kleine Melodie blies. Lydias anerkennendes Lob hatte zur Folge, dass Barry im Laufe des Tages ebenfalls lautstark demonstrieren wollte, dass er ein guter Gitarrist und ein noch besserer Schlagzeuger war. Barry hatte vor, sich an der Washington State University in Pullman, ungefähr dreihundert Meilen entfernt, für Politikwissenschaft zu bewerben. Außerdem kannte er dort ein paar Leute, die ihn als Drummer in ihrer Band haben wollten. »Eine Band«, sagte Lydia. »Wie heißt sie denn?«
    »Als sie an der Highschool angefangen haben, nannten sie sichVomit, aber jetzt heißen sie Kill All Parents«, antwortete Barry. »Falls ihr es

Weitere Kostenlose Bücher