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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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reagieren? Ich verstehe das nicht.«
    »Tut mir leid, wenn ich wieder sarkastisch bin. Ich mag’s selber nicht«, sagte Walter. »Ich kämpfe ständig gegen meinen Sarkasmus an.«
    In dem Ton stritten sie weiter, so wie sie es immer taten.
    Ende August bekam Walter die Gelegenheit, sich zu revanchieren. Barry rief von der Uni an, weil er ein paar Sachen brauchte, vor allem einen Verstärker, den er im Keller stehen hatte, aber auch Kleidung und das gesamte Dungeons and Dragons -Zubehör, das er verkaufen wollte. Wenn jemand zufällig in nächster Zeit in die Gegend müsse, vielleicht könne er dann alles in den Kofferraum werfen und man könne sich irgendwo verabreden.
    Lydia packte die Gelegenheit beim Schopf und fasste im Nu einen Plan. Sie würde Erdnussbutterkekse backen, weil Barry die so gerne mochte, und Walter würde die Kekse, den Verstärker, die Kleidung, die Dungeons and Dragons -Kiste und einen neuen Wintermantel, den Lydia bei Penney’s gekauft hatte, nach Pullman bringen. Er würde Samstag früh losfahren, Barry treffen – Barry hatte zu Lydia gesagt: »Dadkann zu mir ins Wohnheim kommen, oder wir treffen uns sonst wo« –, sich mit ihm den Campus ansehen, in einem Restaurant zu Mittag essen und vor allem, sagte Lydia, »sich mit ihm unterhalten«. Dann würde er die Rückfahrt antreten, obwohl jeder normale Mensch nach einer Fahrt von fast dreihundert Meilen vor Ort übernachten würde. Aber da er seine Frau betrogen und sich dabei hatte erwischen lassen, befand Walter sich schlechterdings nicht in der Position zu protestieren. Er musste zehn Stunden an einem Tag im Auto sitzen. Eine Übernachtung war etwas für vertrauenswürdige Ehemänner.
    Am Samstag stand Lydia um vier Uhr früh auf. Sie erklärte Walter, sie müsse die Plätzchen nicht nur backen, sondern sie müssten auch noch abkühlen, bevor sie sie in eine Blechdose packen könne. »Aus allem macht sie eine Riesennummer«, dachte er. »Barry sind Kekse scheißegal.«
    Als Walter losfuhr, gab Lydia ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Benimm dich anständig«, sagte sie. »Gib Barry einen Kuss von mir. Versprichst du mir das? Und vergiss nicht, ihm die Kekse zu geben.«
    Auf der Fahrt machte Walter das, was er immer machte: Er fummelte am Radio herum, ärgerte sich über andere Fahrer, wechselte häufig die Spur und wälzte Probleme. Es waren noch ein paar verspätete Sommerausflügler mit ihren Wohnmobilen unterwegs, ausschließlich Rentner, bei deren Anblick Walter das Herz schwer wurde. »Noch bin ich nicht so weit«, dachte er, »aber es dauert auch nicht mehr lange, entweder das, oder ich sterbe vorher. Bitte, lieber Gott, lass mich niemals ein Wohnmobil kaufen, lieber sterbe ich; sollte ich jemals daran denken, ein Wohnmobil zu kaufen, töte mich.«
    Nach neunzig Minuten konnte Walter sich nicht länger beherrschen und aß zwei Erdnussbutterkekse. Er bemerkte, wie sorgfältig Alice sie in die Dose gelegt hatte, mit Wachspapier zwischen den Lagen. Nachdem er noch einen dritten Keks genommen hatte, sortierte er etwas um, damit man es nicht gleich bemerkte. In Ellensburg, wo der übliche heftige Wind hinter einem Schlachthof hervorwehte, tankte er und aß einen vierten Keks. Danach überholte er zum Zeitvertreib den einen oder anderen Fahrer, aber die meiste Zeit über war es eine öde Fahrtüber schlechte Straßen ohne jeden Verkehr. Erschöpft vom Fahren und sich eingestehend, dass er sich nicht weiter an Lydias hochheiligen Keksen vergreifen sollte, hielt er in Washtucna und kaufte eine Tüte Chips Ahoy!. Walter aß sie auf einer Parkbank und beobachtete dabei unauffällig zwei junge Mütter, die ihre Kinder auf der Schaukel anschubsten. Die eine hatte einen wohlproportionierten, eleganten Hintern – zu elegant, dachte er, für eine Frau aus einem Bauernkaff. Er stellte sich vor, dass sie aus Washtucna fortwollte, in eine größere Stadt mit interessanteren Leuten. Er stellte sich vor, er würde ihr die Gelegenheit dazu bieten. Zuletzt jedoch musste er beinahe lachen und war ein wenig erschrocken über sich selbst – ein erwachsener Mann, der allein auf einer Parkbank saß, Chips Ahoy! futterte und lüstern nach unschuldigen Frauen schielte, wie ein frisch aus dem Gefängnis entlassener Triebtäter.
    Zurück auf der Schnellstraße 26, erreichte er nach einer Fahrt durch schier endlos sich hinziehende Weizenfelder endlich Pullman. Die ganze Stadt bestand aus nicht mehr als ein paar Ziegelbauten, vereinzelten Häusern

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