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Ed King

Ed King

Titel: Ed King Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Guterson
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Ensminger-Pavillon, einer Bauern-Arena, in der es nach Vieh roch. Die Halle war vollgepfercht mit fünfhundert johlenden, wankenden, sich betrinkenden und kiffenden Jugendlichen, während auf der Bühne eine dilettantische Band einen Lärm produzierte, der entfernt an Musik erinnerte.
    Um halb elf kamen DeathTrap auf die Bühne. Barry, mit freiem Oberkörper und schwarzer Lederhose, einen Drumstick zwischen den Zähnen, schlurfte zu seinem verbeulten Schlagzeug. Er war bleich und hager, beinahe ausgezehrt, abgesehen von der Bierplauze, die sich über seinen Gürtel wölbte. Er hatte einen kahlgeschorenen Kopf und, wenn Walter das vom hinteren Ende der Halle richtig erkennen konnte, seine Lippen wie Dracula bemalt, der gerade frisches Blut getrunken hatte.
    Zuerst musste Barry nichts weiter tun, als auf ein Tom-Tom und ein Becken zu schlagen, während sechs College-Studentinnen in weißen Kleidern von einem strammen Typen, dem Sänger der Band, nacheinander auf der Bühne »geopfert« wurden, indem er ihnen von hintenin den Hals biss, was bei jeder einen gewaltigen Orgasmus auszulösen schien. Dazu rief ein Zwerg mit einer Stimme wie Wolfram Jack Sätze wie: »Der Fürst der Finsternis ist zurück!«, oder: »Dralles Weib, erquicke Luzifer mit deinem Blut!« »Lydia würde es hassen«, dachte Walter.
    Nachdem jedes Mädchen gekommen und zu Boden gesunken war, erstanden alle wie auf Kommando von den Toten auf, stellten sich hinter sechs Mikrophone und skandierten zu Barrys Rhythmus: »Kill! Kill! Kill! Kill! KILL! KILL! KILL! KILL!« Und dann übernahm der Sänger die Bühne.
    Die anderen Bands waren laut gewesen, aber DeathTrap waren lauter. Die auferstandenen Mädchen ließen sich auf alle viere nieder, und der Sänger stolzierte mit einer Schamkapsel zwischen ihnen umher, bestieg die eine oder andere und machte sich, zur großen Freude des Publikums, an ihnen zu schaffen. Barry schien sich um all das nicht zu kümmern, hämmerte einen stupiden Rhythmus und warf und zerbrach Stöcke. Walter kam es so vor, als wäre er sich auf verzweifelte Weise seiner selbst bewusst, als wäre er nicht selbst der Schlagzeuger einer intelligenten, vielfältige Einflüsse verarbeitenden Hardcore-Band, sondern mache sich über einen solchen lustig. Walter fühlte sich leer und elend. Es war so unerklärlich, schmerzlich und tragisch, dass sein Sohn von all den Möglichkeiten des Lebens ausgerechnet auf ein solches Schmierentheater verfallen war.
    Nach einem fünfundvierzigminütigen Angriff auf den guten Geschmack und bürgerliche Normen verließen DeathTrap strahlend die Bühne, Barry im Stechschritt und die Hand zum Hitlergruß ausgestreckt, einen Schlagzeugstock vorne in der Hose, der wie eine lange, dünne Erektion emporragte. Walter eilte nach draußen und lief zu einer Flügeltür an der Rückseite des Pavillons, wo er von einem Ordner aufgehalten wurde. Dieser trug ein Schild mit der Aufschrift MANAGER und sah aus wie ein Erstsemester, der viele Stunden im Kraftraum zugebracht hatte. »Mir egal, wer Sie sind, Sir«, sagte er, »ohne Pass kommen Sie hier nicht rein.«
    »Aber bitte«, sagte Walter. »Seien Sie doch vernünftig.«
    »Ich bin vernünftig. Und deshalb dürfen Sie hier auch nur mit einem Pass durch.«
    »Aber das ist überhaupt nicht vernünftig«, beharrte Walter. »Offenbar wollen Sie auch gar nicht vernünftig sein, denn wenn …«
    »He«, sagte der Ordner und versperrte Walter den Weg, als er sich an ihm vorbeizwängen wollte, »verpissen Sie sich, bevor ich ungemütlich werde.«
    Über eine Stunde lang saß Walter im Wagen und beobachtete den Hintereingang, bis sein Sohn schließlich mit einer Zigarette zwischen den Lippen und einer der geopferten Jungfrauen im Arm herauskam. »Wird auch Zeit«, dachte Walter. Dann zwängte er sich aus dem Wagen und machte sich, mit einem Mal völlig mutlos, bereit für den Showdown. Der Duft von Haschisch hing in der Luft, und die Sterne und der Mond schienen heller zu leuchten als zu Hause. Die Besucher strömten in Scharen heimwärts. Trotz seiner missmutigen Stimmung spürte Walter die Schönheit des Augenblicks: der Ausklang des Konzerts, die laue Augustnacht, die jungen Leute, die nur so vor Leben strotzten, und die alles durchdringende Vorstellung, dass viele von ihnen in der nächsten Stunde Sex haben würden. Es war großartig, nur war er so angepisst von seinem Sohn, dass alles andere in den Hintergrund trat.
    »Barry!«, rief er. »Mein Gott!«
    Barry drehte sich

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