Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
Schmach gilt: Finanzverbrechen scheinen nicht dazuzuzählen. Den eigenen Sohn und die Schwiegertochter umzubringen kam zumindest in die engere Wahl. Aber bei den gerichtlichen Untersuchungen zu den einzelnen Todesfällen urteilten die Geschworenen, trotz eifrigster Bemühungen seitens der örtlichen Polizei, des National Bureau of Criminal Investigation und des Privatdetektivs Edward Loy, auf unbekannte Todesursache. Kein Mensch wollte glauben, dass eine Mutter zu so etwas fähig war, also glaubte es auch kein Mensch. Sämtliche Zeitungen, die sich unter Jack Parlands Kontrolle befanden, vermieden es, eine Halligan-Dawson-Verbindung herzustellen, aus Angst, die unabhängigen Zeitungen könnten dadurch auf die Idee kommen, die Verbrechenskartei von Jack Parlands Abenteuern im Immobilienland wieder aufzurollen. So berichtete letztlich niemand darüber. Es war, als wäre nie etwas passiert. Was immer du sagst, sag nichts.
Die Dokumente und die Computer wurden zur Überprüfung an die IT-Abteilung und das Betrugsdezernat geschickt, und das Criminal Assets Bureau plante eine weitere Prüfung von Georges Vermögen. Dave erzählte mir, dass das CAB berechtigt sei, ein Vermögen zu konfiszieren, sobald der Verdacht bestand, es sei durch kriminelle Aktivitäten erworben worden, und sich das Gegenteil nicht beweisen ließ.
Doch noch bevor etwas Derartiges passieren konnte, gab Georges Anwalt eine Erklärung ab, die besagte, George werde voll und ganz mit allen polizeilichen Ermittlungen kooperieren und bedauere jegliche Unregelmäßigkeit, die seine rechtmäßigen Geschäftskontakte mit dem Dawson-Unternehmen belaste. Seine Anteile am Gelände des Castlehill-Golfclubs sowie an anderen Immobilien seien überdies vollkommen legal und ehrlich. Daraufhin geschah das Unvermeidliche: Podges Anwältin, rein zufällig die Lebens- und Geschäftspartnerin von Georges Anwalt, verkündete, ihr Klient werde sich des Totschlags an Seosamh MacLiam schuldig bekennen. Der Staatsanwalt hatte ohnehin kein großes Vertrauen in Dessie Delaney als Kronzeugen eines Mordprozesses: Auf der Mordwaffe waren Delaneys Fingerabdrücke, und unter den gegebenen Umständen benötigte man ihn schlicht und einfach nicht mehr. Es würde keinen Prozess geben, nicht ein Detail des Falles würde an die Öffentlichkeit gelangen, vor allem nicht George Halligans peinliche Verwicklung in die Sache. Es war einfach nur eine exzessive Party auf einer Yacht gewesen, mit tragischem Ausgang. George Halligans Bruder, das schwarze Schaf der Familie. Nichts weiter dabei. Dave berichtete, Leo Halligan, gegen den Podge ein Waisenknabe ist, habe sich eingemischt, sonst hätte Podge sich niemals darauf eingelassen. Leo wird nächstes Jahr aus dem Gefängnis entlassen.
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Colm Hyland sagte kein Wort, blickte nur starr an die Wand.
Er wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt, wegen versuchter Behinderung der Staatsgewalt. Sein Anwalt legte Berufung ein.
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Councillor Seosamh MacLiam – oder Joseph Williamson, wie der Priester sagte – wurde nach einer Auferstehungsmesse in der ProCathedral, die sich in der Marlborough Street im Zentrum von Dublin befindet, beigesetzt. Der Palestrina-Knabenchor sang das Requiem von Duruflé, und alle Welt war da. Zumindest nahm ich das an. Ich war noch nicht lange genug zurück, um »alle Welt« zu kennen, aber nach den Mänteln, den Anzügen und den Autos zu urteilen, war man hier genauso reich, mächtig und selbstzufrieden wie die entsprechenden Leute anderswo. Und selbst wenn mir das nicht aufgefallen wäre, hätte ich doch vermutet, dass hier wichtige Menschen unterwegs waren, denn als ich auf die Straße kam, sah ich, dass der Verkehr umgeleitet wurde. Die ProCathedral hat keinen Vorplatz, normalerweise gab es also keinen Ort, wo entfernte Bekannte, die nicht mit zum Grab gingen, warten konnten, um den Angehörigen ihr Beileid auszusprechen. Aileen Parlands Familie hatte einfach die Straße abgeriegelt, um einen solchen Ort zu schaffen. Ich wartete, während sie noch von anderen Trauergästen umringt war. Sie entdeckte mich und winkte mich heran. Sie sah genauso aus wie bei unserer ersten Begegnung: ganz in Schwarz, ungeschminkt – oder zumindest so geschminkt, dass sie ungeschminkt aussah –, das silberne Kreuz um den Hals.
»Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Mr. Loy«, sagte sie.
»Entschuldigung angenommen«, erwiderte ich.
»Sie wissen ja noch gar nicht, wofür ich mich entschuldigen will«, sagte sie.
»Das ist egal«,
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