Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
überfordert sein würde. Das dortige Revier würde zwar die Ermittlungen leiten, es galt jedoch als unvermeidlich, dass das National Bureau of Criminal Investigation ZUT Unterstützung hinzugezogen würde. Ich überlegte, ob Dave über diese Unterstützung wohl erfreut sein würde. Ich an seiner Stelle wäre es nicht, ich hätte das Gefühl, dass die Typen sich einmischen und mir meinen Fall wegnehmen wollten. Aber jetzt war es ja sein Fall, und ich hatte nichts mehr damit zu tun.
Es war ungemütlich, auf dem Boden zu sitzen, also probierte ich, ob Liegen besser war. Ich wachte von der Türklingel auf. Die eine Seite meines Körpers war völlig taub, und als ich mich endlich hochgerappelt hatte, schoss mir alles Blut vom Kopf in die Füße, und mir wurde schwindlig. Die Sonne war schon untergegangen, aber es war noch nicht ganz dunkel. Verschwommene Schatten erfüllten das staubige Haus. Es klingelte noch einmal, diesmal anhaltend. Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar, rieb mir die Augen, damit sie nicht wieder zufielen, und ging aufmachen. Draußen stand Barbara, Peter Dawsons Mutter.
Irgendwer hatte Barbara Dawson einmal erzählt, sie sehe aus wie Elizabeth Taylor, und das hat sie sich sehr zu Herzen genommen. Ihr Haar war mittlerweile goldbraun und quoll in üppigen Wellen unter einem locker gebundenen, auberginefarbenen Tuch hervor. Sie hatte große braune Augen und einen breiten Mund mit vollen, auberginefarbenen Lippen. Die Haut war leicht getönt, straff um die Augen und am Kinn und schimmerte perlmuttern. Sie trug einen Hosenanzug aus schwarzem Leinen und darunter ein schwarzes Top, das ihr Dekolleté und ein Stückchen schwarzen Spitzen-BH sehen ließ. Mit Absätzen war sie knapp eins achtundsechzig groß, und sie strahlte eine Erotik aus, die bei einer dreißig Jahre jüngeren Frau absolut unwiderstehlich gewesen wäre. Aber Barbara Dawson, einen Schal im passenden Aubergineton um den Hals, war vierundsechzig, ein Jahr älter als meine Mutter. Als sie mich umarmte, hatte sie Tränen in den Augen.
»Das mit Peter tut mir so Leid, Barbara«, sagte ich. Ich merkte, dass ich immer noch nach Alkohol, Rauch und Schweiß stank.
»Eine furchtbare Tragödie«, sagte sie und tupfte sich die Augen mit einem kleinen Seidentaschentuch, das sich farblich ebenfalls anpasste. »Wir sind dir so dankbar für alles, was du für unsere Familie getan hast, Edward.«
»Ich habe doch so gut wie nichts getan«, sagte ich.
»Du hast getan, was du konntest, Kind. Das haben wir alle getan. Aber irgendwann war eben nichts weiter möglich.«
Sie lächelte betont strahlend, presste die Lippen zusammen und nickte, wie zur Bestätigung, dass wir jetzt alle sehr tapfer sein mussten. Ich nickte ebenfalls, obwohl ich kein Wort verstand. Barbara hörte sich an, als wäre Peter einer schleichenden Krankheit erlegen und man hätte bereits seit Monaten mit seinem Tod gerechnet.
Sie hielt das Taschentuch an die Nase gepresst, sah sich um und klimperte dabei mit den stark getuschten Wimpern. Ich wollte mich schon für das Chaos im Haus entschuldigen, da sagte Barbara in diesem besonders hochnäsigen Ton, den Dubliner einsetzen, wenn sie sich von ihrer besten Seite zeigen wollen: »Daphne hat sich immer darauf verstanden, das Haus hübsch und behaglich zu halten.« Ich warf ihr einen Blick zu, um zu sehen, ob sie das vielleicht ironisch meinte. Aber da wir immer noch in der Diele standen und sie genau auf das zerkratzte Holz des Treppengeländers schaute, kam ich zu dem Schluss, dass sie einfach höflich sein wollte, ohne darin besonders viel Übung zu haben.
»Ehrlich gesagt wurde hier gerade eingebrochen, Barbara«, sagte ich und dirigierte sie in Richtung Küche. Sie blieb schweigend an der Tür stehen. Ich fragte sie, ob sie einen Tee oder einen Drink wolle, aber sie schüttelte nur den Kopf. Ich wusste auch nicht recht weiter, also holte ich die Makrelen aus dem Kühlschrank, packte sie aus und legte sie neben die Spüle.
»Die Einbrecher haben alle Möbel zerschlagen, ich kann Ihnen nicht mal einen Stuhl anbieten«, sagte ich, um das Schweigen nicht zu lang werden zu lassen. »Gestohlen haben sie aber nur die Alben mit den Familienfotos. Alle Fotos von meinen Eltern, die Hochzeitsbilder und die aus der Zeit davor. Finden Sie das nicht auch merkwürdig, Barbara?«
Barbara Dawson hielt eine kleine schwarze Lederhandtasche in den tadellos manikürten Händen mit den auberginefarbenen Nägeln. Jetzt schlug sie mit entsetzter Miene
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