Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
schulde ihr Geld, sei ein Simulant und überhaupt ein nichtsnutziger Herumtreiber. Sie klang ziemlich sauer, und ich konnte es ihr nicht verdenken. Es gab nur noch einen weiteren Ort, wo Tommy meines Erachtens sein konnte: das Hennessy’s. Aber als ich dort anrief, sagte mir der Barmann, Tommy habe seit kurzem Lokalverbot. Ich sagte ihm, das fände ich doch sehr erstaunlich, ob das vorher schon mal vorgekommen sei. Er antwortete, seines Wissens nicht, er arbeite schon seit zwölf Jahren dort und wisse wirklich nicht, was man tun müsse, um Lokalverbot zu kriegen. Aber was es auch sein mochte, Tommy hatte es offenbar getan. Die Anweisung kam von Noel senior persönlich, und Noel senior hielt das Hennessy’s bestimmt nicht seit fünfzig Jahren am Laufen, indem er seine Entscheidungen vor irgendwem begründete.
Ich streifte durch Seafield, bis ich ein Herrenmodengeschäft gefunden hatte. Dort erstand ich noch einen schwarzen Anzug, fünf zusätzliche weiße Hemden und einen Stapel Socken und Unterwäsche. Im Supermarkt kaufte ich neue Kartoffeln, frische Schotenerbsen, Zitronen, Hafermehl, glatte Petersilie und eine Packung schwarze Müllsäcke. Dann ging ich zurück zum Pier und kaufte zwei Makrelen an einem Stand, der nur fangfrische Fische vom Tag hatte. An einem Kiosk holte ich noch ein halbes Dutzend Zeitungen, bevor ich zu Fuß nach Quarry Fields zurücklief.
Dort fing ich an, den ganzen Schutt vom Einbruch in die Müllsäcke zu räumen. Die vollen Säcke brachte ich nach draußen in die Garage. Die Möbel im Wohnzimmer waren ohnehin nicht mehr im besten Zustand gewesen, und jetzt war gar nicht mehr daran zu denken, sie noch einmal zu reparieren. Ich warf die zertrümmerten Stühle und Tischbeine auf die Müllsäcke. Um das ganze Zeug wegzuschaffen, würde ich wohl einen Container bestellen müssen, aber danach war mir im Moment nicht zumute. Der Schreibtisch im Arbeitszimmer war ebenfalls zertrümmert worden, und erst als ich die Einzelteile weggeräumt hatte, fiel mir ein, dass meine Eltern dort immer die Familienfotos aufbewahrt hatten, die jetzt alle verschwunden waren. Das Stück Foto, das ich auf Peter Dawsons Boot gefunden hatte, war somit das Einzige, was mir von meinem Vater geblieben war. Irgendjemand versuchte, alle Spuren meiner Vergangenheit auszulöschen und damit auch alle Spuren seiner eigenen.
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Ich setzte mich im Wohnzimmer auf den Boden und sah die Zeitungen durch. Es war ein großer Tag für die Presse – wer wollte ihr das zum Vorwurf machen? TÖDLICHES DREI
ECK lautete der reißerische Aufmacher zu den Artikeln des Daily Star über den »allseits beliebten Stadtrat« Seosamh MacLiam, Dawson und den BETONLEICHNAM aus dem Rathaus. An Letzteren hatte ich schon kaum noch gedacht, und ich hatte die starke Vermutung, dass er jetzt auf der Prioritätenliste noch weiter nach unten rutschen würde. Er war schon so lange tot und begraben, er konnte auch noch ein bisschen länger warten, bis ihm Gerechtigkeit widerfuhr. Der Irish Independent berichtete von ÄRGER IM PARADIES und brachte viele Zusatzinformationen zu der vornehmen »Küstenresidenz der Reichen« in Bayview und Castlehill. Die Luxusvillen bekannter irischer Rockstars, Filmregisseure, Rechtsanwälte und Firmenchefs bildeten dort eine exklusive Enklave, die dem Reporter zufolge den Spitznamen »Bel Eire« trug. Dieses Thema griff auch die Irish Sun auf: SCHWAR-ZER TAG IN BEL EIRE posaunte sie von der Titelseite, behauptete weiterhin, aus »polizeinahen Quellen« erfahren zu haben, dass Seosamh MacLiam bereits tot war, ehe man ihn ins Wasser geworfen hatte, und berichtete detailliert über John Dawsons unaufhaltsamen Aufstieg in der Baubranche. Die Irish Times, die »seriöse« Zeitung des Landes, beschränkte sich auf einen kurzen Artikel auf Seite vier, der – wohl um die Gefühle der Angehörigen oder auch der eigenen Leser zu schonen – so vorsichtig formuliert und so offensichtlich darum bemüht war, möglichen späteren Gerichtsverfahren nicht vorzugreifen, dass man nach der Lektüre im Grunde gar nicht wusste, ob tatsächlich jemand ermordet worden oder auch nur gestorben war oder ob überhaupt etwas passiert war. Immerhin wies die Times darauf hin, dass John Dawson zu einer Gruppe von Geschäftsleuten gehörte, die sich in den siebziger und achtziger Jahren um Jack Parland, Seosamh MacLiams Schwiegervater, gebildet hatte.
Die meisten Zeitungen vermuteten, dass die Polizei von Seafield mit zwei parallelen Mordermittlungen
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