Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
eine Hand vor den Mund.
»Das ist unmenschlich, Edward«, sagte sie. »Dir nicht mal ein Andenken an deine Mutter zu lassen. Unmenschlich ist das.«
Ihr Blick wanderte immer wieder unruhig zu den Makrelen hinüber, als fürchtete sie, sie wären noch am Leben und könnten jeden Moment auf sie losgehen.
»Die sind ganz frisch«, sagte ich. »Sind den Fischern praktisch von selbst ins Boot gehüpft.«
Barbara Dawson schüttelte sich. »Deine Mutter, Gott hab sie selig, also, ihr und mein Vater waren beide Fischer. Als ich ein Kind war, stank es zu Hause die ganze Zeit nach gebratenem Fisch, Heringe, Makrelen, Rochen und weiß der Himmel was sonst noch. Der Gestank hing einem in den Haaren, unter den Fingernägeln, es gab nie genug heißes Wasser, um das wegzubekommen. Da hab ich mir geschworen, wenn ich mal mein eigenes Haus habe, werd ich nicht einen Fisch mehr braten und auch nicht einen essen. Keinen mehr essen«, verbesserte sie sich rasch. Für einen kurzen Moment war sie in den Dialekt aus Fagan’s Villas zurückgefallen, wo sie mit meiner Mutter Tür an Tür gewohnt hatte. Sie schüttelte sich noch einmal, diesmal heftiger und mit mehr Körpereinsatz, drückte dabei eine Hand an die Brust und wedelte mit der anderen vor der Nase herum, um den imaginären Gestank frisch gefangener Fische zu vertreiben. Ich musste an eine bissige Bemerkung meiner Mutter denken: »Die hätte wirklich auf die Bühne gehört. Aber nur in einem ganz großen Theater, wo man weit hinten sitzen kann.«
»Das ist das Einzige, was mir geblieben ist«, sagte ich und zeigte ihr das zerrissene Foto, das ich auf Peters Boot gefunden hatte. »Sehen Sie, das ist mein Vater, Eamonn Loy, und John Dawson.«
Barbara Dawson wich buchstäblich alles Blut aus dem Gesicht. Sie sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
»Schon gut, Kind«, sagte sie, und ihre Stimme klang plötzlich ganz tief und bedächtig. »Es ist einfach ein solcher Schock, deinen armen Väter zu sehen, nach all den Jahren.«
»Das muss vor fünfunddreißig, vierzig Jahren gewesen sein«, sagte ich. »Auf einer Hochzeit vielleicht?«
Aber Barbara hatte den Blick abgewandt und sah angestrengt zum Fenster hinaus. In unserem ungepflegten Garten standen die beiden Apfelbäume, der männliche und der weibliche. Ihre harten grünen Früchte machten keine Anstalten, reif zu werden.
»Es steht auch etwas hinten drauf«, fuhr ich fort, drehte das Foto um und zeigte es ihr: »Schauen Sie: ›ma Courtney 3459‹. Sie wissen nicht zufällig, was das heißen kann, Barbara? Kennen Sie jemanden namens Courtney? Von früher vielleicht?«
Barbara schüttelte den Kopf, einen entschlossenen Zug um den Mund.
»Ich habe diese Vergangenheit so weit wie nur möglich hinter mir gelassen, Edward«, sagte sie. »Ich habe nicht ein Foto aufgehoben. Ich will nicht, dass mich irgendwas daran erinnert. Mein Leben hat in dem Jahr begonnen, als John die Bungalows an der Rathdown Road gebaut hat und wir nach Bayview Heights gezogen sind.«
Laut meiner Mutter war es mit meinem Vater von dem Moment an bergab gegangen, als die Dawsons nach Bayview Heights gezogen waren. Damit hatte John Dawson ihn ganz plötzlich ausgestochen. Bayview Heights war eine sehr viel noblere Adresse als Quarry Fields, und mit jedem neuen Jahr wuchs und wuchs Dawsons Bauunternehmen, bis John und Barbara sich schließlich zur Krönung ihres triumphalen Aufstiegs eine viktorianische Villa mit einem riesigen Grundstück ganz oben auf dem Hügel in Castlehill kauften. Als John Dawson meinem Vater das Geld für die Werkstatt vorstreckte, wurde das allgemein als Akt der Loyalität betrachtet, als Tribut an ihre gemeinsamen Wurzeln. Mein Vater trank damals schon seit Jahren und arbeitete nur sporadisch, und hätte meine Mutter nicht ihre Stelle in der Parfumabteilung bei Arnott’s gehabt, wäre die Familie am Ende gewesen. Die Autowerkstatt war für meinen Vater die letzte Chance, aber wie so viele, die eine letzte Chance brauchen, hatte er sie im Grunde nicht verdient, war nicht darauf vorbereitet und scheiterte spektakulär und, wie es schien, vorsätzlich daran. Ich steckte das Foto wieder in die Tasche.
Barbara kramte in ihrer Handtasche. Sie zog einen braunen Umschlag hervor und hielt ihn mir hin.
»Meine Familie möchte sich bei dir bedanken«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Ich möchte mich bei dir bedanken.«
Ich nahm den Umschlag. Ein
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