Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
streiten, rührt keiner von beiden einen Finger, um sich darum zu kümmern, und sonst kann auch keiner was tun.«
Dave trat in den Schatten der jüngeren Eiche und wedelte mit seiner großen, roten Hand einen dichten Nebel aus Pollen, Hornissen und Mücken beiseite.
Ich setzte mich auf einen Baumstumpf – vielleicht war es ja der von damals, ich konnte mich nicht erinnern –, stellte den schwarz karierten Seesack, den ich vom Wagen hierher geschleppt hatte, daneben auf den Boden und zündete mir eine Zigarette an. Ich rauchte selten und schaffte es durch irgendeine seltsame Veranlagung immer wieder, lange ganz ohne auszukommen, aber jedes Mal, wenn ich aus der Kirche kam, brauchte ich eine Zigarette. Dave schüttelte den Kopf, als ich ihm eine anbot.
»Mensch, wie sehen denn deine Hände aus, Ed? Das ist aber nicht von dem Rosenstock gestern?«
Ich hatte an allen Fingern Kratzer und Verletzungen bis zu den Knöcheln und Abschürfungen an Handflächen und Handgelenken. Es sah aus wie ein Ekzem.
»Ich bin den Felsen in Castlehill hochgeklettert. Und danach noch über einen Stacheldrahtzaun.«
»Aha. War wohl eine gesponserte Aktion, was?«
»Stimmt, zugunsten des Wohltätigkeitsfonds der Polizei.«
Dave grinste, aber sein Grinsen verschwand so schnell wie Wasserdampf von einem Spiegel. Er setzte dazu an, etwas zu sagen, ließ es dann aber. Er schien nicht recht zu wissen, womit er anfangen sollte. Also, immer ran, Loy.
»Ist die Pistole wieder aufgetaucht, Dave?«
»Angeblich ist sie immer noch im Haus. Kein Mensch kann sie aus dem Kriminaltechnischen Zentrum rausgebracht haben, die Sicherheitsvorkehrungen sind zu streng. Und es gibt keinen Hinweis auf einen Einbruch. Also hat wohl die Verwaltung Mist gebaut.«
»Aber das glaubst du nicht.«
»Ich finde, das passt einfach viel zu gut. Die perfekte Lösung für Leute, die Peter Dawsons Tod schlichtweg ignorieren wollen.«
»Barbara Dawson hat mir gesagt, sie glaubt, Peter hat Selbstmord begangen. Sie behauptet, Superintendent Casey ist auch dieser Ansicht. Was soll das?«
Dave schüttelte den Kopf. »Casey macht, was er immer tut, wenn er einen Fall möglichst schnell wieder loswerden will: Er lässt die Sache schleifen, bis alle Spuren kalt sind, dann lädt er sie beim Untersuchungsgericht ab und lässt auf unbekannte Todesursache, Unfalltod oder so entscheiden.«
»Aber glaubt er tatsächlich, Peter hat Selbstmord begangen? Wie soll die Leiche denn dann aufs Boot gekommen sein?«
»Nach der Autopsie hat er Material genug, um zu behaupten, dass es Selbstmord war. Und jetzt kommt ihm auch keine lästige Tatwaffe mehr in die Quere. Aber klar, wenn Peter wirklich Selbstmord begangen hat, wo hat er es dann gemacht, und wer hat hinter ihm aufgewischt? Solche Fragen sollten wir uns stellen. Aber Casey will das nicht.«
»Warum nicht?«
»Was glaubst du, wer hat die Leiche auf das Boot gebracht?«
»Tommy Owens sagt, die Pistole gehört Podge Halligan. Ich vermute also, die Halligans stehen ganz oben auf der Liste.«
»Genau das will Casey vermeiden: dass irgendeine Verbindung zwischen John Dawson und den Halligans entsteht. In diesem Fall darf es keine Verbindungen zum organisierten Verbrechen geben, das ist die offizielle Ansage.«
»Obwohl Immunicate den Sicherheitsdienst für Dawson Construction stellt?«
»Immunicate stellt für viele Leute den Sicherheitsdienst, Ed.«
»Dann wird er also eine Mordermittlung verhindern?«
»Ach, wir sollen schon weiter nach Tommy Owens suchen. Aber Mord werden wir sowieso ausschließen müssen: Es gibt kein Motiv, keine Augenzeugen, und der Fingerabdruck auf der Tatwaffe ist unvollständig. Nicht dass wir die Tatwaffe noch hätten.«
»Soll das heißen, da wurde möglicherweise ein Mensch, ein Ehemann, ein Sohn, von Gangstern ermordet und der Superintendent, der mit dem Fall betraut ist, will keine Ermittlungen durchführen? Erklär mir das, Dave.«
»Das Wichtigste … das einzig Wichtige … ist, dass die Dawsons zufrieden sind.«
Dave lockerte seine beeindruckenden Muskeln im Schulter- und Nackenbereich, wandte sich dann von mir ab und sah nach Castlehill hinauf. Die Sonne ging bereits unter. Das von zwei Kränen flankierte hölzerne Kreuz oben auf dem Berg schien zu leuchten. Ich hatte ganz vergessen, dass da oben ein Kreuz war, ich sah es zum ersten Mal seit meiner Rückkehr. Man hatte es aus Anlass irgendeines großen katholischen Festes aufgestellt, in den Fünfzigern, als es wenig zu tun und noch
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