Ed Loy - 01 - Blut von meinem Blut
lachen sich halbtot, und sie ist nass, klitschnass, in diesem roten Badeanzug, mit rot angemalten Lippen und lackierten Zehennägeln, das ganze Programm. Ich habe sie gleich rausgeschmissen, das kann ich dir sagen. Was die sich herausnahm!«
Sie lachte noch einmal und sah sich um, wie um Zustimmung von einer unsichtbaren Runde Geschworener zu erheischen. Dann wühlte sie zwischen den Kissen, bis sie schließlich eine kleine Flasche Smirnoff zutage förderte, goss sich einen Schluck davon in den Tee, als wäre ich gar nicht da, und trank die Tasse aus.
»In der einen Woche zog sie mit Johnny Dawson herum, in der nächsten mit diesem Kenny. Die zwei konnte man auch kaum auseinander halten. Dein Vater hatte immerhin genug Verstand, sich von ihr fern zu halten. Dieses eingebildete Getue, das kann ich wirklich nicht begreifen. Wo doch jeder wusste …«
Mrs. Burke unterbrach sich. Sie sah zu mir herüber, als hätte sie zwischenzeitlich vergessen, dass ich da war.
»Noch eine Tasse Tee, Jungchen?«
»Nein danke. Was wollten Sie gerade sagen?«
»Was meinst du?«
»Über Barbara Dawson. Dass Sie ihr eingebildetes Getue nicht begreifen können, wo doch jeder wusste …?«
»Wo jeder was wusste, Jungchen?«
Um Mrs. Burkes Lippen spielte ein leises Lächeln. Ihr Blick wirkte schärfer, und ihre Stimme hatte wieder etwas Listiges an sich. Sie hatte schon genug gesagt, mehr als genug, wo doch das Motto des Landes von jeher lautete: »Was immer du sagst, sag nichts.«
»Und du bist immer noch in Amerika, Jungchen? Da geht es dir gut, ja? Bist du nicht Arzt? Alle haben wir gewusst, dass Daphne Loys Sohn ein sehr gutes Abschlusszeugnis bekommen hat und Arzt werden wird. Das hast du dir ja auch verdient. Aber man steht schon sehr früh auf in Amerika, Gott steh uns bei. Meine sind morgens immer schon um sechs unterwegs.«
Ich stellte ihr noch ein paar Fragen, aber sie wich mir aus und antwortete mit abgedroschenen Phrasen: Mein Vater war ein anständiger Mann, hatte hart gearbeitet, sie betete zu Gott, dass er glücklich sein möge, wo immer er war. Kenny, glaubte sie, war ganz weggezogen, sie besaß nur Fotos von ihrer eigenen Familie von damals und wusste auch gar nicht genau, wohin sie die verräumt hatte. Ich bedankte mich für den Tee, und als ich aufstand, sprang Mr. Burke vom Sofa und schnappte wieder nach meinen Knöcheln. Auf dem Bildschirm war das Grab geöffnet und der Sargdeckel gehoben worden, nur um festzustellen, dass die Leiche verschwunden war. Mrs. Burke tauchte den Finger in ein kleines Becken mit Weihwasser an der Haustür und zeichnete mir damit ein Kreuz auf die Stirn. Als ich ging, sah sie mir lächelnd nach und murmelte einen stummen Segen.
Siebzehn
Ich lebte in einer Stadt, in der alle Gräber geöffnet
waren. Die Toten erhoben sich und streiften durch Straßen und Felder, bis sie die Häuser fanden, die sie früher bewohnt hatten. Ihre Verwandten öffneten ihnen die Tür, und die Lebenden und die Toten musterten einander wie Fremde. Dann gingen die Toten wieder davon, weil es ihnen nicht erlaubt war, Ruhe zu finden, solange die Lebenden sie verfolgten und in ihren Gesichtern nach vertrauten Zügen suchten, nach irgendetwas, das ihnen bekannt vorkam. Ich glaubte meine Mutter und meinen Vater zu sehen, doch als ich sie schließlich einholte, hatte keiner von beiden ein Gesicht, zumindest keines, das ich erkannte. Es waren auch tote Kinder unterwegs, doch sie einzuholen war ganz unmöglich. Ich folgte den Legionen der Toten bis an die Küste, doch als sie am Meer angelangt waren, änderten sie die Richtung, ständig in Bewegung auf ein unbekanntes Ziel zu, und ich blieb allein zurück und starrte aufs Meer hinaus.
* **
Ich wachte schweißgebadet auf, das Haar klebte mir am Kopf. Jemand hämmerte wie wild an meine Haustür, und mein Herz klopfte einfühlsam im Takt dazu. Als ich die Treppe hinunter war, hatte das Klopfen aufgehört. Vor der Tür lag ein brauner, wattierter Umschlag, und ich hörte ein Auto wegfahren. Die Morgenluft war fast schon kühl, auf dem verdorrten Gras glitzerte Tau. Ich fröstelte und ging wieder ins Haus.
Ich duschte heiß, zog mich an und sah dann beim Frühstück den Inhalt des Umschlags durch. Peter Dawsons Bankauszüge gaben eine hochinteressante Lektüre ab. Soweit ich sehen konnte, kassierte er jeden Monat etwa achtzehntausend von der Firma Dawson, dazu weitere sechs- bis siebentausend aus verschiedenen Daueraufträgen – ein Einkommen, das
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