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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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klang.
    »Hör zu, Natty, sei nicht böse. Ich glaube, ich habe herausgefunden, wer uns umbringen wollte.« Dann erzählte ich, was ich an diesem Tag erfahren hatte.
    »Du kannst nicht so weitermachen«, belehrte mich Natty. »Durch die Gegend laufen und keinem erzählen, was du vorhast oder was geschehen ist. Ich bin es so leid. Und um das mal klarzustellen, ich möchte nicht irgendwann ohne Bruder und ohne« – ihre Stimme brach – »Schwester dastehen, Annie.« Ich stand auf und wollte sie umarmen, doch sie entzog sich mir und lief durch den Flur in ihr Zimmer. Die Tür wurde zugeschlagen.
    Ich wandte mich an Daisy. »Du kannst jetzt nach Hause gehen, wenn du willst.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Mr. Kipling hat angerufen und gesagt, ich solle heute Nacht Wache stehen. Er macht sich größte Sorgen um deine Sicherheit.«
    »Gut, aber du solltest wissen, dass ich Mr. Kipling heute Nachmittag entlassen musste.«
    »Ich weiß«, erwiderte Daisy. »Das hat er mir erzählt. Er hat gesagt, er würde mich aus eigener Tasche bezahlen.«
    Sie begab sich in den Flur auf ihren Posten.
    Ich ließ mich auf die Couch fallen. Win ging in die Küche und kehrte mit einer Tüte gefrorener Erbsen für meinen Kopf zurück.
    »Dafür ist es wahrscheinlich zu spät«, bemerkte ich.
    »Für gefrorene Erbsen ist es nie zu spät«, entgegnete er heiter.
    »Bist du nicht sauer auf mich?«, fragte ich.
    »Warum? Nur weil du dich in Gefahr bringst und keinem erzählst, was du machst? Warum sollte mich das stören? Ich mache mir überhaupt keine Sorgen um dich.«
    Ich legte mir die Erbsen auf die Stirn, wie ich es so oft bei Leo getan hatte. Die Kälte ließ mich zusammenzucken. Ich streckte mich, um Win zu küssen, doch mein Kopf begann zu pochen. Ich legte mich zurück aufs Kissen. »Entschuldigung«, sagte ich.
    »Glaubst du vielleicht, ich will noch von dir geküsst werden? Du bist mittlerweile ganz schön entstellt.« Er beugte sich vor und gab mir einen Kuss – ganz sanft und zart. »Was soll ich nur mit dir tun?«, sagte er mit leiser, zärtlicher Stimme.
    Da ich mir selbst die verwirrenden Ereignisse des Tages noch nicht erklären konnte, beschloss ich, sie ihm zu erzählen. Ich endete mit Fats’ Bitte, auf meine Führungsposition bei Balanchine Chocolate zu verzichten.
    »Wäre das denn so furchtbar?«, fragte Win. »Im Grunde genommen hat er dir gesagt, dass du gehen kannst, wenn du willst.«
    »Aber was ist mit Leo?«, fragte ich. »Was ist mit Daddy?«
    »Nichts, was du für Balanchine Chocolate tust, wird auch nur einen von ihnen zurückbringen, Annie.«
    Er hatte recht. Tatsächlich war der schnellste Weg für mich, Balanchine Chocolate und damit das Vermächtnis meines Vaters, oder was davon noch übrig war, zu zerstören, wenn ich mir mit Fats einen Kampf um die Führung lieferte. Außerdem: Was wusste ich schon über die Leitung einer Schokoladenfirma?
    Ich verschob die Tüte mit Erbsen so, dass sie meine Augen verdeckte. Auch sie taten allmählich weh. Es war ein friedliches Gefühl, in der kühlen Dunkelheit zu sein.
     
    Ich war nicht mehr im Pool gewesen, seit ich im Vorjahr vor dem Antritt meiner Strafe in Liberty dort eine Rede gehalten hatte. Abgesehen von Fats waren so viele von den Menschen, die ich gekannt hatte, mittlerweile entweder tot, verschwunden oder im Gefängnis, dass ich mit kaum jemandem dort persönlich Bekanntschaft gemacht hatte, auch wenn ich alle vom Sehen kannte. Das war das Besondere an Familien des organisierten Verbrechens – man sollte sich nicht die Mühe machen, sich zu sehr an jemanden zu gewöhnen.
    Fats hatte mich gebeten, von Mickeys Verschwinden und Sophias Beteiligung an der Vergiftung sowie an den Attentaten auf meine Familie zu berichten, was ich auch tat. Dann erklärte ich, dass ich Fats bei seinem Wunsch unterstützte, der Übergangschef der Balanchine-Familie zu sein. Lauwarmer Applaus folgte auf diese Ankündigung. Fats selbst hielt eine kurze Rede über die Aussichten für die Familie. Seine Vision unterschied sich nicht wesentlich von denen der früheren Familienoberhäupter: In erster Linie ging es um den gesicherten Nachschub und um die Garantie, dass er pünktlich geliefert wurde. Schließlich eröffnete Fats die Diskussion.
    Ein Mann mit einem krausen Schnäuzer und runden Brillengläsern wandte sich an mich. »Anya, ich bin Pip Balanchine. Ich würde gerne wissen, welche Erfahrungen du bisher mit der neuen Staatsanwältin gemacht hast. Ist sie

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