Edelherb: Roman (German Edition)
eine überzeugte Schokoladengegnerin?«
»Nicht besonders«, erwiderte ich. »Das Einzige, was sie wirklich interessiert, sind Geld und Karriere.«
Die Männer lachten über meine Einschätzung.
Dann mischte sich ein schwarzer Mann mit rötlichem Haar ein: »Fats, du bist ein guter Kerl, aber du hast nur ein Restaurant. Glaubst du wirklich, dass du in der Lage bist, die
semja
zu führen?«
»Ja«, sagte Fats. »Das glaube ich.«
»Ich persönlich habe nämlich die Nase voll von der Unruhe. Die ist nicht gut fürs Geschäft und sicherlich auch nicht für die Qualität der Schokolade. Ich glaube, wir verkaufen uns unter Wert. Die Kontaminierung hätte als Gelegenheit genutzt werden müssen, das Geschäft umzukrempeln, nicht um …«
Das Treffen ging noch weiter, auch wenn meine Gegenwart kaum vonnöten zu sein schien. Daisy Gogol stand hinter mir, wie es Brauch bei solchen Besprechungen war, und hin und wieder stupste sie mich an. Aber was sollte ich sagen? Tatsächlich war ein Teil von mir wirklich zufrieden damit, das Geschäft Fats zu überlassen. Ich mochte ja das eine oder andere über Kakao gelernt haben, aber es gab immer noch viele andere Aspekte, von denen ich keine Ahnung hatte. Dann dieser Schwachsinn, den Yuji Ono mir eingeredet hatte – ich wäre ein »Katalysator« – tja, vielleicht war es einfach nicht mein Ding, ein Katalysator zu sein. Am Vortag hatte ich versucht, Yuji Ono anzurufen, weil ich ihn mit dem konfrontieren wollte, was ich von Sophia Bitter erfahren hatte. Ich hatte noch so viele Fragen. Hatte er die Planung zum Mord an Leo aus Liebe zu Sophia oder aus Hass auf mich unterstützt? Oder hatte er noch ganz andere Gründe gehabt? Hatte er jemals etwas von dem geglaubt, was er sagte, oder hatte er mich einfach als Opfer ausgesucht, weil ich jung war und empfänglich für Schmeicheleien? Was hatte er über Simon Green gewusst? Doch die Telefonnummer, die Yuji Ono mir gegeben hatte, existierte nicht mehr. Er war mir ein größeres Rätsel denn je zuvor.
Unten in dem leeren Schwimmbecken sitzend, ließ ich meine Gedanken schweifen. Ich dachte an Mexiko. Dort war das Wasser so blau gewesen. Ich fragte mich, wie es Theo ging. Ich schämte mich zu sehr, um ihn anzurufen.
Ein anderer Mann in einem violetten Anzug sprach mich an. »Anya, hast du vor, dich mit Fats zu beraten? Ich wüsste gerne, dass zumindest eines der Kinder von Leo Balanchine informiert ist.«
Ich versprach, mich bei meinem Cousin auf dem Laufenden zu halten. Dann drehte ich mich aus Respekt zu ihm um.
»Anya weiß, dass meine Tür immer für sie offen ist«, warf Fats ein. »Und wenn sie etwas älter ist und sich besser auskennt, kann ich mir vorstellen, dass sie sich noch mehr ins Geschäft einbringt, wenn sie das denn will.«
Nicht lange darauf wurde die Besprechung beendet. Mein Verzicht war kurz und unblutig gewesen. Wie Mr. Beery gesagt hätte: mehr
Kaufmann von Venedig
als
Macbeth
.
XVII. Ich habe Zweifel
Kurz vor Ostern hörten wir von Sophia und Mickey. Sie waren nach Belgien geflogen, wo sie einen neuen Zweig von Bitter Schokolade eröffnen wollten. Auf dem Foto, das Natty ausfindig gemacht hatte, entdeckte ich in ihrem Gefolge einen rothaarigen Riesen mit nur einer Hand. Ich konnte wohl davon ausgehen, dass der Mann, den ich in Granja Mañana verstümmelt hatte, nicht im mexikanischen Regenwald verblutet war. Noch trug ich nicht den schwarzen Fleck eines Mordes auf der Seele.
Am Ostersonntag ging ich mit Natty zur Kirche. Wie gesagt, seit meiner Rückkehr aus Mexiko waren meine Kirchenbesuche sporadisch geworden. Ich war zwar mitten in einer Glaubenskrise, doch selbst für eine halb vom Glauben abgefallene Katholikin war Ostern ein zu wichtiger Feiertag, um ihn zu ignorieren. Daisy Gogol war über das Wochenende nach Hause gefahren, doch da Sophia und Mickey fort waren und Jacks immer noch im Gefängnis saß, schienen solche Vorsichtsmaßnahmen auch nicht nötig. Natty und ich waren in Sicherheit, und wenn auch nur, weil wir die letzten beiden Frauen der Familie waren. Hatte Daddy nicht mal gesagt: »Wer überlebt, gewinnt?« Doch wen kümmerte schon, was er gesagt hatte …
Die österliche Liturgie hatte ich immer sehr gemocht. Ich liebte das Entzünden der Kerze und das Thema des Tages, die Erneuerung. Doch in jenem Jahr fühlte ich mich mit der ganzen Sache nicht verbunden. Bei der Erneuerung des Taufgelübdes spürte ich das am deutlichsten. Der Priester fragte die Gemeinde: »Nehmt Ihr Zuflucht
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