Edelherb: Roman (German Edition)
Machete.
Im Eingang stand Yuji Ono. Statt eines Anzugs trug er eine beigebraune Hose und einen leichten schwarzen Pulli.
»Überraschung!«, rief Luna.
Ich schaute von Yuji zu ihr. »Du kennst Yuji?«
»Aber sicher«, erwiderte sie. »Er war mit meiner Cousine Sophia verlobt, bevor sie dann einen anderen heiratete. Yuji sagt, ihr drei wärt zusammen zur Schule gegangen. Aber Anya war doch bestimmt ein oder zwei Klassen unter dir, oder, Yuji?«
»Vielleicht auch drei«, sagte der Angesprochene. »Anya!« Er musterte mich von Kopf bis zu den Füßen, dann hielt er mir die Hand hin. »Du siehst gut aus.«
Dankbar, ein vertrautes Gesicht zu sehen, zog ich ihn an mich und gab ihm einen Kuss, auch wenn wir zwei uns sonst nicht so begrüßten. Ich spürte, dass Yuji den Griff meiner Machete bemerkte, der ihm gegen die Hüfte drückte, und löste mich von ihm. »Wie lange bleibst du hier?«, fragte ich.
»Höchstens zwei Tage. Ich überlege momentan, ob ich meinen Kakaolieferanten wechseln soll, und dachte, ich komme mal her und sehe mir die Plantage und die Fabriken an, bevor ich eine Entscheidung fälle. Obwohl heute der zweite Weihnachtstag ist, waren Ms. Marquez und ihr Sohn so freundlich, sich heute Vormittag mit mir zu treffen. Ich bin ein alter Freund der Familie, wie Luna schon sagte, und ich habe die Freundschaft wohl etwas zu sehr ausgenutzt, das tut mir leid. Jetzt stell dir meine Überraschung vor, als ich erfuhr, dass meine alte Schulkameradin Anya Barnum sich bei den Marquez’ aufhält!
Theo sagte, du müsstest schon genug wissen, um mich auf der Plantage herumführen zu können. Er sagt, du wüsstest fast so viel über das Thema wie er.«
»Er will mir schmeicheln«, wiegelte ich ab. »Ich bin ein blutiger Anfänger.«
Wir ließen Luna im Haus zurück, und ich führte Yuji auf die Kakaofelder.
»Ich habe doch gesagt, dass ich kommen würde«, flüsterte er.
»Wie geht es allen?«, fragte ich. »Ich habe von niemandem gehört!«
»Dazu gleich mehr, Anya. Ich habe dir ein Weihnachtsgeschenk mitgebracht, das dir sehr gefallen wird, wie ich glaube.«
Weihnachtsgeschenke interessierten mich nicht. Ich wollte nur Neuigkeiten.
»Wie geht es meiner Schwester?«
»Gut, soweit ich weiß.«
»Und meinem Bruder?«
»Dem« – Yuji hielt inne – »geht’s auch gut.«
»Du hast gezögert, warum?«
»Da gibt’s eine Geschichte, Anya. Ich erzähl sie dir gleich. Aber Leo ist nicht in Gefahr, wenn es das ist, was du befürchtest.«
» STIMMT IRGENDWAS NICHT MIT LEO ?«, schrie ich heraus, denn ich konnte niemanden in der Nähe sehen.
»Es sieht so aus, als hätte sich dein Bruder verliebt.«
Leo hielt sich doch angeblich bei Mönchen auf. In wen sollte er sich dort verliebt haben? »Wer ist sie, Yuji?«
»Nichts Wichtiges. Ein Mädchen aus dem Dorf, habe ich gehört. Die Familie hat nichts gegen diese Verbindung, falls sie sich weiterentwickeln sollte.«
Ich dachte darüber nach. »Und dieses Mädchen stört es nicht, dass er geistig unterentwickelt ist?«
»Nein. Ich bin mir nicht mal sicher, dass sie es überhaupt bemerkt.«
Ich entdeckte ein wenig Schimmel an einer Kakaofrucht, zog meine Machete aus dem Gürtel und schnitt die kranke Frucht ab. »Fruchtfäule«, erklärte ich.
»Du hast mir niemals besser gefallen, Anya Balanchine«, sagte Yuji zu mir.
Seit Monaten hatte ich meinen richtigen Namen nicht mehr gehört, er klang fast fremd in meinen Ohren. Ich setzte mich auf das Feld und lehnte mich gegen einen Baumstamm.
»Sag, dass du dich freust, mich zu sehen«, befahl Yuji.
»Na klar freue ich mich, dich zu sehen.«
»Erzähl mir genau, wie deine Reise hierher verlief. Ich will alles wissen. Außerdem werde ich deine Familie bestimmt bald sehen, und die werden es nicht abwarten können, das Neuste von dir zu hören.«
Und so erzählte ich ihm von dem Containerschiff, von meinem abgeschnittenen Haar, berichtete, was ich alles über den Kakaoanbau lernte, ich erzählte von den Marquez’ und vor allem von Theo.
Ruhig hörte Yuji zu. »Du hast mir mal gesagt, du würdest Schokolade hassen. Tust du das noch immer?«
»Nein, Yuji. Jetzt nicht mehr.« In den letzten Monaten hatte sich etwas in mir geändert. Ich spürte es.
»Und Win Delacroix? Denkst du viel an ihn?«
Tatsächlich tat ich das nicht – nicht weil ich ihn nicht liebte, sondern weil ich den Gedanken an ihn kaum ertragen konnte. Kurz zuvor hatte mein Herz noch wild gerast, weil ich dachte, Win sei zu Besuch gekommen.
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