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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabrielle Zevin
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Dann entdeckte ich einen Eintrag, der etwas mehr als ein Jahr alt war, von Februar 2083 :
    G geht es jeden Tag schlechter. Hat Mr. K und mich gebeten, ihrem Leiden ein Ende zu machen.
    Einige Wochen später dann:
    Es ist vollbracht. G schickte die Kinder auf eine Hochzeit. Mr. K unterbrach eine Stunde lang die Stromversorgung des Gebäudes. Ich erhöhte G’s Dosis, damit sie keine Schmerzen hatte, & hielt ihre Hand. Mr. K hielt die andere, & schließlich schloss sie die Augen, & und ihr Herz hörte auf zu schlagen. Ruhe in Frieden, Galina.
    Ich warf das Buch quer durchs Zimmer, und als es aufschlug, rissen einige der zarten Seiten ein. Imogen Goodfellow hatte Nana geholfen, Selbstmord zu begehen! Und mit Mr. K konnte sie nur Mr. Kipling meinen.
    Ich warf das Tagebuch in einen Stoffbeutel, verließ die Wohnung und machte mich auf den Weg zu Mr. Kiplings Apartment. Der Himmel war schon den ganzen Nachmittag bedrohlich grau gewesen, doch erst der Abend hatte die Drohung wahr gemacht, so dass es nun heftig regnete. Weder ich noch Daisy Gogol, die darauf bestanden hatte, mich zu begleiten, hatten einen Regenschirm dabei, so dass wir völlig durchnässt Mr. Kiplings Apartment am Sutton Place erreichten.
    Ich besuchte meinen Anwalt nur selten zu Hause. Meistens konnten die Geschäfte bis zum nächsten Morgen warten. Ich bat den Portier, mich anzumelden, doch er erkannte mich und schickte mich durch zum Fahrstuhl. Daisy Gogol wollte lieber unten warten.
    Mr. Kiplings Frau Keisha kam an die Tür. »Anya«, sagte sie und streckte die Arme aus. »Dir muss ja eiskalt sein. Du bist klatschnass. Komm herein! Ich hole dir ein Handtuch.«
    Ich trat ein und tropfte den teuren Marmorboden voll.
    Nach einer Minute kehrte Keisha mit einem Handtuch und Mr. Kipling zurück.
    Er wirkte besorgt. »Was ist, Anya? Ist etwas passiert?«
    Ich sagte, ich müsse ihn unter vier Augen sprechen. »Ja, sicher«, entgegnete er und führte mich in sein Arbeitszimmer.
    Eine Wand hing voller Fotos. Die meisten zeigten seine Frau und seine Tochter, aber es gab auch welche von meinen Eltern, von Natty, Leo und auch mir. Ich bemerkte sogar ein oder zwei von Simon Green.
    Ich holte Imogens Tagebuch aus der Tasche und legte es auf seinen Schreibtisch.
    »Was ist das?«
    »Imogens Tagebuch«, erklärte ich.
    »Wusste nicht, dass sie eins führte«, sagte Mr. Kipling.
    Ich erwiderte, es sei auch mir neu gewesen. »Da stehen Dinge drin … Dinge über Sie.«
    »Wir waren befreundet«, sagte Mr. Kipling. »Aber ich weiß nicht, wovon du sprichst. Du musst es mir schon sagen.«
    »Haben Sie und Imogen Nana umgebracht?«
    Mr. Kipling seufzte schwer und barg seinen kahler werdenden Kopf in den Händen. »Ach, Annie. Galina hat es sich gewünscht. Es ging ihr so schlecht. Sie hatte ständig Schmerzen. Sie verlor den Verstand.«
    »Wie konnten Sie so was tun? Wissen Sie, was Nanas Tod alles ausgelöst hat? Leo stritt sich auf der Beerdigung mit Mickey, dann schoss er auf Yuri Balanchine und wurde selbst verletzt. Und ich schoss auf Jacks. Ich musste nach Liberty gehen. Und so weiter. Diese ganzen schrecklichen Dinge passierten nach Nanas Tod!«
    Mr. Kipling schüttelte den Kopf. »Du bist ein kluges Mädchen, Annie. Ich denke, du weißt, dass es schon lange vorher begann.«
    »Was weiß ich schon? Ich weiß gar nichts! Seit einem Jahr tappe ich nun im Dunkeln. Sie haben mir nicht geholfen.« Mein Gesicht war rot angelaufen, mein Hals war rau. »Sie haben mich verraten! Nana und Imogen sitzen wahrscheinlich in der Hölle! Und Sie werden auch dort landen!«
    »Sag so was nicht. Ich würde dich niemals verraten«, sagte Mr. Kipling. »Es ist so: Bevor ich für dich arbeitete, war ich Galinas Anwalt. Wie konnte ich ihr den Wunsch abschlagen?«
    »Sie hätten zu mir kommen sollen.«
    »Deine Nana wollte dich schützen. Du solltest nichts damit zu tun haben.«
    »Sie war nicht mehr ganz richtig im Kopf. Sie wusste doch gar nicht, was sie wollte. Haben Sie selbst gesagt. Sie können nicht mal so und mal so reden.«
    »Annie, ich liebe deine Familie. Ich habe deinen Vater geliebt. Ich habe Galina geliebt. Ich liebe dich. Du musst wissen, dass ich mein Bestes getan habe. Dass ich getan habe, was ich für richtig hielt.« Er kam um den Schreibtisch herum und wollte mir einen Arm um die Schulter legen, doch ich schüttelte ihn ab.
    »Ich sollte Sie feuern«, flüsterte ich. Meine Stimme war belegt, ich war kurz davor, zusammenzubrechen. Den ganzen Tag über

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