Edelherb: Roman (German Edition)
eine Bestandsaufnahme meiner Verletzungen zu machen. Ich hatte eine große Beule auf der Stirn und eine zweite am Hinterkopf. Die konnte ich aber nicht sehen, da sie von meinen Haaren verdeckt wurde. Abgesehen davon, schien ich unversehrt zu sein.
Ich schob den Kopf durch die Tür. Krankenschwestern waren offenbar nicht in der Nähe, also ging ich los. Ich lief durch den Korridor, vorbei an der Anmeldung. Niemand nahm von mir Notiz. Im Wartebereich entdeckte ich Daisy Gogol und Natty. Nattys Gesicht war rot und verweint. Auch Daisy hatte einen ziemlich besorgten Gesichtsausdruck. Ich wollte mich nicht von ihnen aufhalten lassen, wollte aber genauso wenig, dass sie sich zu große Sorgen machten.
Ich ging auf sie zu. »Psst«, machte ich.
»Annie, wieso liegst du nicht im Bett?«, rief Natty.
»Mir geht’s gut, aber ich muss los«, erklärte ich ihnen.
»Hör auf mit dem Blödsinn«, sagte Natty. »Wer hat dich geschlagen? Was ist passiert?«
»Ich erzähle euch alles später. Mir geht’s gut.«
»Du siehst aber nicht gut aus«, beharrte Natty. »Du siehst alles andere als gut aus. Wenn du nicht sofort zurück in dein Zimmer gehst, Anya, dann werde ich losschreien, das schwöre ich bei Gott.«
Ich schaute hinüber zur Anmeldung. Trotz des zunehmend hysterischen Tonfalls meiner Schwester hatten wir noch keine große Aufmerksamkeit erregt. Wir befanden uns in einer hektischen Klinik in einer Stadt voller Verbrechen, die Mitarbeiter hier waren es gewöhnt, aufgeregtes Geschrei zu überhören.
»Natty, ich muss mich dringend um etwas kümmern, das überhaupt keinen Aufschub duldet.« Ich wandte mich an Daisy. »Hast du zufällig meine Machete?«
Daisy Gogol zog es vor, meine Frage nicht zu beantworten. Stattdessen schaute sie von mir zu meiner Schwester. »Ich fühle mich schuldig, Anya. Ich hätte dich nicht alleine zur Kirche gehen lassen dürfen. Ich dachte, das ginge schon gut. Es war schließlich eine Kirche.«
»Ist schon in Ordnung, Daisy.«
»Ich hätte Verständnis dafür, wenn du mich feuern möchtest«, sagte sie.
Ich wollte sie nicht rauswerfen, ich wollte nur wissen, ob sie meine Waffe hatte.
»Habe ich, Anya«, erwiderte sie, »aber ich kann sie dir nicht geben.«
»Herrgott nochmal«, murrte ich.
»Es tut mir leid. Meine Aufgabe ist es, dich zu beschützen, nicht dir Beihilfe zu leisten.« Daisy Gogol nahm mich auf den Arm, als wöge ich nichts – dabei bin ich wirklich nicht so leicht; ich bin vielleicht klein, aber auch kompakt –, und trug mich zurück zur Anmeldung. »Dieses Mädchen hatte ein Schädeltrauma und hat ihr Zimmer verlassen«, erklärte Daisy Gogol der Krankenschwester.
Die Schwester sah aus, als langweilten wir sie unerträglich und als sei es völlig normal, dass riesige Frauen kleinere herumschleppten. Sie wies Daisy an, mich zurück in mein Zimmer zu bringen, wo ich in Kürze von einem Arzt untersucht werden würde. Als wir durch den Korridor gingen, wog ich meine Möglichkeiten ab. Ich konnte Daisy Gogol nicht überwältigen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich schneller laufen konnte als sie.
Vorsichtig legte sie mich aufs Bett, als sei ich eine zerbrechliche Puppe. »Es tut mir leid, Anya.«
»Verstehe ich schon.«
»Ich weiß halt das eine oder andere über Schädeltraumata, und du musst mindestens noch einen Tag lang beobachtet werden. Was auch immer passiert ist, es kann sicher warten, bis du wieder klar denken kannst …«
Ich setzte mich auf und stieß sie so heftig wie möglich von mir. Große Wirkung zeigte das nicht, aber sie war verblüfft genug, so dass ich aus dem Zimmer stürzen konnte. »Bring Natty nach Hause!«, rief ich im Laufen.
Da ich meine Machete nicht dabeihatte, ging ich als Erstes zu Fats’ Mondscheincafé. Ich brauchte Unterstützung, wenn ich es mit Mickey und Sophia aufnehmen wollte. »Annie, was führt dich her?«, fragte Fats.
Ich war vom Krankenhaus bis zum Pool gelaufen und bekam kaum Luft. »Du hattest recht. Sophia Bitter hat die Attentate organisiert. Und ich glaube, sie steckt auch hinter der vergifteten Schokolade«, sagte ich.
Fats brühte sich einen Espresso. »Ja, das leuchtet ein. Glaubst du, Mickey war eingeweiht?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Sophia sagt, er hätte Leo als Rache für dessen Schüsse auf Yuri getötet. Aber sie kann auch einfach gelogen haben, damit sie wegen Leos Tod nicht in Schwierigkeiten gerät.«
»Und das geht am einfachsten, wenn sie mit dem Finger auf ihren Mann
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