Edelmann und Satansfreund
unter ihren Mantel kroch. Es wäre für sie noch Zeit gewesen, sich umzudrehen und zu fliehen, aber das tat sie nicht. Statt dessen stand sie da wie eine Besucherin, die auf eine bestimmte Erklärung wartete. Die Augen hielt sie auf das Bild in der Mauer gerichtet. Dort war das Zentrum. Da mußten sich die Dinge zusammenfügen, es gab keine andere Lösung.
Die Ahnung verdichtete sich zur Gewißheit, denn Hilde sah tief im Hintergrund des Ganges zwischen den beiden Pyramiden etwas aufblitzen. Einen kurzen Schimmer nur, mehr nicht, aber er reichte aus, um sie zu irritieren.
Da war etwas!
Aber was?
Hildegard von Zavelsreuth rührte sich nicht. Sie wartete darauf, daß sich das Blitzen wiederholte, und sie hatte Glück, denn der Reflex erreichte abermals ihre Augen.
Eine Taschenlampe hatte dort sicherlich niemand eingeschaltet, auch wenn es so ähnlich ausgesehen hatte. Im Schatten erschien der Umriß!
Ebenfalls ein Schatten, der aber nicht starr auf dem Fleck stand, sondern sich bewegte.
Er näherte sich und schälte sich als böses Etwas aus dem unheimlichen Dunkel hervor.
Hilde hätte auch die Augen schließen können, um zu wissen, wer da vor ihr aufgetaucht war. Es war ihr Verfolger, es war der namenlose Ritter, der mit beiden Händen sein Schwert festhielt und es wie zum Schlag diagonal vor seinem Körper angehoben hatte.
Nie hatte sie ihn so deutlich gesehen wie in dieser einsamen Nacht. Der Ritter hob sich deutlich vor dem geheimnisvollen Licht ab. Es sah jetzt so aus, als wären die Lichter nach hinten in die Tiefe gewandert. Auch die Schädel wurden wieder von der normalen Finsternis umfangen.
Der unheimliche Ritter schritt weiter auf sie zu, aber sie hörte ihn nicht.
Gespenstisch und lautlos, ein Geist, der keine Ruhe in den anderen Dimensionen gefunden hatte.
Verließ er die Mauer?
Hilde rechnete damit, aber sie konnte nicht zurück, denn da gab es die beiden Augen, die hinter den Schlitzen des Helms schimmerten. Sie glaubte nicht, daß es normale Menschenaugen waren, denn die Kälte darin ließ eher auf ein Tier schließen.
Der Ritter blieb stehen. Sein Blick war starr auf die einsamen Frau gerichtet. Sie merkte, wie ihr Widerstand dahinschmolz. Ihre Gefühle schwebten zwischen Furcht und Erwartung hin und her. Sie wußte, daß der Ritter etwas von ihr wollte und sie nicht rein zufällig ausgesucht hatte.
Aber wo war die Verbindung?
Nicht in ihrem Leben. Da würde sie schon weiter zurückgehen müssen und Ahnenforschung betreiben. Möglicherweise ließ sich dort die Lösung finden.
Die unheimliche und rational nicht erklärbare Gestalt bewegte sich wieder. Diesmal nicht die Beine, sondern seine Arme. Das Schwert schlug einen kleinen Bogen und wurde abermals von einem Lichtstreifen getroffen, so daß die Klinge wie ein Spiegel an einer bestimmten Stelle aufblitzte.
Dann zeigte sie auf Hildes Hals! Sie sah es mit Augen, die sich stark vergrößert hatten. Plötzlich war sie nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen.
Das tat der Ritter. Er verließ die Wand!
Sie hörte nichts knirschen oder knacken. Er ging einfach hindurch und trat in den Innenhof der Ruine.
Seine zur Hälfte nackten Beine waren nur bis zu den Waden mit einem Schutz bedeckt. Ansonsten reichte die Rüstung hinab bis zu den Oberschenkeln, und um die Hüfte hatte er ein hellrotes Gand oder breites Tuch geschlungen.
Er war da, und er existierte tatsächlich, denn er streckte sein Schwert so weit vor, daß die breite Spitze gegen Hildes Hals stieß. Es war diese knappe Berührung, die wieder schreckliche Erinnerungen in ihr hochschießen ließen.
Schon einmal hatte sie eine Spitze an der Kehle gespürt. Vor knapp einem Jahr, als sie den beiden Asozialen in London in die Arme gelaufen war und kurz vor einer Vergewaltigung gestanden hatte.
Doch diesmal tauchte kein Retter auf. Sie war allein. Sie spürte den Druck und starrte in die hellen und kalten Totenaugen hinter den Helmschlitzen.
War das das Ende? War es der Tod…?
Etwas trug sie weg. Plötzlich glaubte sie, Flügel zu haben. Die Beine gehörten nicht mehr zu ihrem Körper. Sie segelte durch die Dunkelheit davon, um allem zu entfliehen, was sie bedrohte.
Es gab den Ritter nicht mehr, es gab nichts mehr, abgesehen von der dichten Schwärze.
Aber es gab noch Hildegard von Zavelsreuth, die ohnmächtig auf dem Burghof lag…
***
Irgendwann erwachte sie wieder.
Es war ein Auftauchen aus der Tiefe gewesen, vergleichbar mit dem aus einem tiefen Schlaf, denn ihr fehlte
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