Edelmann und Satansfreund
plötzlich eine Treppe hinaufrollte oder an einer Wand emporstieg.
Sie war stehengeblieben und sah sich um. Noch nie zuvor hatte sie den Burghof bei Nacht betreten. Tagsüber war alles okay, dann waren auch die Besucher da, aber in der Nacht wirkte die Ruine schauerlich und unheimlich. Die Reste der Mauern waren ihr nie so hoch erschienen.
Einige ragten noch hoch in den Nachthimmel und bildeten mit ihren Umrissen seltsame Figuren.
Es war nicht stockfinster im Innenhof, denn das helle Licht der Sterne warf seinen Glanz hinein und beleuchtete auch die Innenseiten der Mauern. Rechts von Hilde befand sich ein kleiner Kiosk, wo man tagsüber Eis und Süßigkeiten kaufen konnte. Jetzt war er geschlossen.
Innerhalb des alten Gemäuers war er sowieso ein Fremdkörper.
Sie setzte einen Fuß vor den anderen. Behutsam ging sie weiter. Dabei drehte sie den Kopf, um im matten Licht der Sterne ihre Umgebung im Auge zu behalten.
Hilde weigerte sich, es zuzugeben, aber sie wartete förmlich darauf, ihren geheimnisvollen Verfolger zu sehen.
Als sich der Schädel wieder bewegte, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Er rollte weiter. Sein Ziel war ein breiter Teil der Innenmauer.
Wenn er gegen die prallte, würde er zerstört werden, das stand für die einsame Frau fest.
Plötzlich passierte etwas, was sie überhaupt nicht begriff. An der Wand oder vielleicht auch in ihrem Innern bewegte sich etwas.
Es wurde heller. Aber Lichter hatte dort niemand angezündet. Es war sowieso eine ungewöhnliche Helligkeit. Ein blasses, dunkles Grün, vermischt mit einem hellen Gelb, bildete auf ihr eine rätselhafte Lichtwand aus einer anderen Dimension.
Zwar wurde das Mauerwerk nicht völlig durchsichtig, aber es erhellte sich so stark, daß Hilde in der Lage war, Einzelheiten zu erkennen. Ihr Herzschlag begann zu rasen. Was sie sah, war furchtbar, unglaublich, aber auch faszinierend.
Im unteren Teil der Wand entdeckte sie zahlreiche runde Gegenstände, die im ungewöhnlichen Licht nicht mehr so bleich und natürlich aussahen, sondern einen grünlichen Schimmer angenommen hatten, als wären sie mit einem Pilz überzogen.
Es waren Schädel – Totenköpfe. Und sie steckten tatsächlich mitten in der Wand, wo sie zu zwei nebeneinander liegenden Pyramiden sorgfältig aufeinandergeschichtet lagen.
Hildegard von Zavelsreuth konnte sich nicht vorstellen, daß die beiden Pyramiden zusammenfallen konnten. Sie mußten sich schon seit langen Zeiten hier in der Mauer befinden. Kein Sturm, kein Unwetter hatte ihnen etwas anhaben können.
Zum erstenmal spürte sie, wie sich der Bann lockerte. Sie war dem Schädel bisher gefolgt, ohne richtig nachzudenken oder nachdenken zu können. Jetzt aber begriff sie, was geschehen war. Eine Szene, die es nicht geben konnte, weil sie dem gesunden Menschenverstand widersprach.
Bildete sie es sich nur ein?
Sie wischte über ihre Augen. Langsam ließ sie die Hand wieder sinken.
Das schaurige Bild war geblieben. Sie glaubte auch nicht an ein Gemälde, es war real, und wenn sie zwischen die Pyramiden hindurch in den Gang schaute, dann hatte sie den Eindruck, als wäre dieser schmale Weg unendlich lang und würde irgendwo in der Hölle enden, wo jemand lauerte, an dessen Namen sie einfach nicht denken wollte.
Ein Schädel lag noch draußen. Es war der Totenkopf, der sie hergeführt hatte. Direkt vor der Mauer war er als bleiches Etwas auf dem Boden liegengeblieben, als könnte er sich nicht entscheiden, die eine oder andere Pyramide zu vervollständigen.
Dann aber tickte er hoch, fand seinen Weg nach vorn – und hätte zerschellen müssen.
Es geschah nicht. Der Schädel glitt in die Mauer hinein, als wäre sie ein Hologramm, und er fand seinen Weg innerhalb des Gefüges, denn an der rechten Pyramide glitt er in die Höhe. Er stützte sich auf den anderen Totenköpfen an der Seite ab, bis er seinen Platz in der oberen Reihe gefunden hatte und dort liegenblieb.
Hildegard von Zavelsreuth stand da und staunte. Ihre Kinnlade war nach unten gesackt, der Mund stand offen. Wenn sie Atem holte, hörte es sich an, als wäre sie dabei, Wasser zu schlürfen. In ihrem Leben hatte Hilde so etwas noch nie erlebt, selbst in den schlimmsten Alpträumen nicht.
Aber sie glaubte daran, daß alles mit ihrem unheimlichen Verfolger, dem Ritter, zusammenhing. Nur hatte er sich bisher nicht gezeigt.
Im Burghof war es nicht nur düster, sondern auch kalt. Hilde fror. Sie spürte die Feuchtigkeit, die von den Wänden ausströmte und
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