Edelmann und Satansfreund
Kreuzung. Da herrschte höchstens am Tag Betrieb, aber nicht in der Nacht.
Der Totenkopf war wieder zur Ruhe gekommen. Erst als Hilde zögernd einige Schritte nach vorn ging, rollte er weiter, und inzwischen hatte die Frau begriffen.
Dieser Schädel handelte ähnlich wie ein Hund, der seinen Herrn oder seine Herrin auf eine bestimmte Fährte locken will. Er wartete immer ab, bis der Mensch sich ihm genähert hatte, um dann wieder weiter zu rollen.
Das tat er. Und er wich dabei nicht von der eingeschlagenen Richtung ab. Er blieb mitten auf der Straße. Dort rollte er weiter. Manchmal völlig normal, dann wieder hüpfend, wenn er über ein Hindernis hinweg mußte, prallte dann mit einem hohl klingenden und gut hörbaren Laut auf, zerbrach aber nicht, sondern bewegte sich weiter.
Es gab nur ein Ziel, wenn es so weiter ging. Wollte er nicht nach links ins Tal hinabrollen, dann mußte er einfach am Ende der Straße die Brücke überqueren und in der düsteren Burgruine verschwinden – und Hilde hinter sich herlocken, wenn sie weiterhin auf der Spur des Totenkopfs blieb.
Sie sah keinen Grund, ihren Weg zu verlassen, und folgte dem Schädel Schritt für Schritt.
Der Totenkopf rollte weiter. Mal lag er mit seinen leeren Augenhöhlen und dem Maul oben, als wollte er nach den Gestirnen schauen, dann bewegte er sich sehr schnell oder blieb für einen Moment auf der Seite liegen, wie jemand, der sich überzeugen will, ob ihm eine bestimmte Person noch folgte.
Die einsame Frau im hellen Flattermantel dachte nicht über das Geschehen direkt nach. Irgend etwas hinderte sie offenbar daran. In diesen Minuten dachte sie nur einspurig. Der Totenkopf war wichtig, ebenso wie sein Weg, von dem er nicht abwich. Er wollte Hilde zur Burg locken, und die Frau ließ es zu, weil sie nicht anders konnte.
Niemand beobachtete die unheimliche Szene, wie eine weibliche Person mitten in der Nacht und auf offener Straße einem bleichen Skelettschädel folgte. Es war ein Bild wie aus einem Horrorfilm, dessen Ende die Hauptakteurin nicht kannte.
Diesmal drehte Hilde keinen Film. Hier führte sie auch nicht Regie. Die hatte ein anderer übernommen. Je mehr sie sich der Ruine Zavelstein näherte, um so eindringlicher wurde ihr bewußt, daß es möglicherweise der geheimnisvolle Ritter war, der sie so schattenhaft schon über ein Jahr lang verfolgt hatte.
Zu beiden Seiten der Straße waren die Häuser jetzt verschwunden.
Linkerhand glitt ihr Blick hinein in ein tiefes Tal. Tagsüber ein wunderschöner Anblick, in der Nacht aber war dieses Tal mit einer dicken, tintigen Finsternis gefüllt, so daß es bodenlos aussah wie ein Tunnel in die Hölle.
Der Kopf rollte weiter, und das Geräusch veränderte sich. Es klang nicht mehr so hohl und auch nicht mehr so hell, denn er bewegte sich jetzt über die Bohlen der Holzbrücke hinweg. Sie stellte die Verbindung zwischen dem normalen Weg und der Burgruine dar. Zu beiden Seiten der Brücke gähnte die Tiefe. Umrißhaft waren die Schatten der Baumkronen zu sehen.
Der Kopf polterte über das alte Holz der Brücke hinweg. Dicht dahinter befand sich schon der Eingang. Ein breiter Torbogen, hinter dem sofort der Innenhof der Burg begann. Er war ziemlich groß und umgeben von Mauern unterschiedlichster Höhe, zu der aber die alten Stufen hinaufführten. Bis zu den ehemaligen Wehrtürmen hin.
Der Schädel hatte die Brücke hinter sich gelassen. Kein Hindernis stoppte ihn auf seinem weiteren Weg. Jetzt rollte er wieder über altes Pflaster hinweg, und die Echos der heller klingenden Geräusche tanzten über die halbrunden Wände des Durchgangs.
Hildegard von Zavelsreuth blieb dicht bei ihrem makabren Führer. Sie dachte nicht an eine Umkehr, denn sie wußte inzwischen, daß der Totenkopf eine Botschaft für sie hatte. Er war nur geschickt worden, die Befehle gab ein anderer.
Auch sie erreichte den Torbogen. Es war kühl zwischen den Wänden.
Sie fröstelte und hatte dabei den Eindruck, ihre eigene Welt zu verlassen und hineinzutauchen in die Vergangenheit dieser Burg.
An den Innenseiten und zwischen den Steinen schimmerte oft genug die Feuchtigkeit. Die alten Mauern sonderten sie ab, als wären es die Tränen der hier Gestorbenen, die sich den Menschen zeigen wollten.
Der Schädel hatte den Innenhof der Burg mittlerweile erreicht. Wenn er sich jetzt bewegte, hörte es sich an, als würde er über den Boden schleifen. Viele Ausweichmöglichkeiten hatte er nicht mehr, obwohl Hilde ihm zutraute, daß er
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