Edelmann und Satansfreund
Kopf. Hilde wußte, daß sie sich Mut machen mußte, denn sie hatte diesen verdammten Ritter bestimmt nicht zum letztenmal gesehen.
Was sollte sie tun? Abreisen, was einer Flucht gleichgekommen wäre?
Sie dachte darüber nach, aber sie schob den Gedanken wieder von sich, denn etwas in ihr sagte ihr, daß diese Gestalt sie überall finden würde.
Egal, wohin sie sich wandte. Sie würde ihr nacheilen, sie verfolgen, an ihren Füßen kleben.
Als mutig hatte sich Hildegard von Zavelsreuth noch nie eingestuft, wohl aber als couragiert. Das mußte sie oft genug in ihrem Job beweisen. Da konnte sie auch nicht fliehen, wenn es Arger gab. Der trat oft genug ein bei diesen unterschiedlichen Charakteren, mit denen sie es zu tun hatte.
»Ich werde bleiben!« flüsterte sie und richtete sich auf.
Nicht weit vom Bett entfernt hatte sie ihre Handtasche abgestellt. Sie ging hin und nahm sie mit zu dem Sessel. Eine schmale Lady-Brieftasche holte sie hervor, kramte darin herum, Visitenkarten rutschten heraus, und sie fluchte leise, weil sie ausgerechnet die Karte noch nicht gefunden hatte, die für sie am wichtigsten war.
Ungefähr ein Jahr lag es zurück.
John Sinclair, dachte sie.
Und dann hatte sie die Karte gefunden. Für einen Moment entspannte sich ihr Gesicht, sie lächelte seit längerer Zeit wieder. Es war spät – oder früh –, doch das war ihr egal. John mußte ihr helfen. Er sollte sich in die nächste Maschine setzen und losfliegen.
Sie würde ihm den Flug bezahlen und auch den Leihwagen. Kosten spielten keine Rolle. Sie war eine wohlhabende Frau.
Die Vorwahl von England wußte sie auswendig. »Okay, dann«, flüsterte sie vor sich hin, »ich bin an einem Sonntag geboren. Da soll man ja angeblich ein Glückskind sein. Jetzt kann ich das Glück gebrauchen.«
Hildegard von Zavelsreuth hatte sich selbst Mut gemacht. Dennoch zitterten ihre Finger.
Ein Jahr ist eine verdammt lange Zeit, dachte sie. Eine sehr lange sogar…
***
Wenn ein Telefon nach Mitternacht klingelt und das noch in einer Nacht von Freitag auf Samstag, dann möchte man den Apparat am liebsten packen und aus dem Fenster werfen. Sicherlich gibt es nur wenige Menschen, die nicht so denken.
Ich gehörte nicht zu ihnen und wühlte mich beim dritten Tuten aus dem Bett. Das heißt, ich richtete mich nur auf, denn das Ding stand neben mir auf dem Nachttisch. Ich schaltete das Licht ein, und der Anrufer war sicherlich nicht erfreut, als er meine knurrige und verschlafene Stimme hörte.
Eine Frau meldete sich. Ihre Stimme klang sehr leise, ängstlich schon.
Möglicherweise hörte sie sich auch nur so an. »John?« hauchte sie in mein Ohr.
»Ja…«
»Ich bin es. Hilde…«
»Bitte?«
»Hildegard von Zavelsreuth. Erinnerst du dich? Es ist ein Jahr her, als du mich gerettet hast und…«
»Moment mal, Moment mal…« Ich mußte erst überlegen und kratzte mit der freien Hand über meinen Hals. Allmählich wurde das Licht in meiner Erinnerung heller. Verschlafen hielt ich den Hörer gegen mein Ohr. Klar, dieser Name war so außergewöhnlich, daß man ihn einfach nicht vergessen konnte.
»Bitte, John…«
»Du bist die Schauspielerin. Klar, die Sache unter der Brücke.« Ich war wieder hellwach. »Meine Güte, was haben wir danach für ein Wochenende gehabt.«
»Daran habe ich mich auch erinnert, John.«
»Mitten in der Nacht oder am frühen Morgen?«
»Nein, John, oder doch. Es wird dir seltsam vorkommen, aber ich benötige deine Hilfe, und das so schnell wie möglich.«
»Dann laß mal hören.« Ich war mittlerweile hellwach und voll dabei.
Allerdings noch ziemlich locker, denn richtig ernst nahm ich die Dinge nicht.
Bis sie mir eine Geschichte erzählte, die wirklich unglaublich klang. Nur war ich gewohnt, unglaubliche Geschichten zu hören, und ich erinnerte mich jetzt wieder daran, daß Hildegard von Zavelsreuth mir schon damals etwas von einem Ritter erzählt hatte, der sie angeblich verfolgte und dabei keine normale Gestalt war. Jetzt stand diese Figur wieder im Mittelpunkt, und die Stimme der Frau hörte sich ängstlich an. Sie stand noch unter dem Eindruck des Erlebten. Es lag auch nicht lange zurück.
Er war der Mittelpunkt ihrer Nacht gewesen, neben den beiden Pyramiden aus Totenschädeln.
Hilde hatte sich bei der Erzählung angestrengt. Ich hörte ihren heftigen Atem sehr deutlich. Als stünde sie direkt neben mir. »Du kannst dir vorstellen, John, daß ich völlig fertig bin. Ich wußte nicht mehr, was ich tun sollte. Da
Weitere Kostenlose Bücher