Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
Zweitschlüssel
abgeluchst hatte. Licht wäre hilfreich, fiel ihr auf halbem Weg ein. Sie machte
kehrt und holte die Taschenlampe aus dem Garderobenschrank. Als sie wieder draußen
war, schoss Kay heran und trabte voraus, als er ihr Ziel erahnte. Durch den Keller
zu stöbern, liebte er noch mehr als die Jagd auf Störche. Im hinteren Bereich des
Kellers, der an das ehemalige Bennefeld-Weingut grenzte, suchte sie in den Gängen
und Nischen nach Hinweisen auf den verschlossenen Durchgang. Kaum einer dieser Räume
hatte ein Deckenlicht. Im Schein der Taschenlampe musste sie nah an die Bruchsteinwände
herantreten und gut aufpassen, um nicht über das Gerümpel zu stolpern, das eine
Winzergeneration nach der anderen aufgehäuft hatte. Uralter Staub hing in der Luft.
Es roch nach Schimmel, und die Dunkelheit ließ sie schwindelig werden. Es war zwecklos.
Sie musste raus. Als sie sich nach dem Rückweg umschaute, traf der Lichtkegel auf
ein Stück Mauerwerk, das deutlich heller war und die Form einer Türöffnung mit Rundbogen
nachzeichnete. Vielleicht lag dahinter der Bennefeldkeller? Das ließ sich leider
so nicht feststellen. Sie beschloss, draußen auf Henriette zu warten und sie unter
einem Vorwand nach Plänen zu fragen.
Die Stille
fiel ihr auf. Wo war Kay geblieben?
Er beantwortete
ihre Rufe mit dem auffordernden Kläffen, das üblicherweise seiner Jagdbeute in Gestalt
halb toter Mäuse vorbehalten war, und weit durch das Gewölbe hallte. Angela ging
in Richtung des Bellens. Es kam aus einer finsteren Ecke auf der gegenüberliegenden
Seite des Mittelgangs. Ob es hier Licht gab? Als sie endlich den Schalter gefunden
hatte, brach das Kläffen ab. Im Lichtschein erkannte sie die Sackgasse mit dem Riesenweinfass
wieder, auf das der Verleger es abgesehen hatte. Dieser Lutz Tann hatte ihr gefallen
mit seiner offenkundigen Seriosität; eine Eigenschaft, die sie zu schätzen gelernt
hatte, seit sie die meiste Zeit mit Kriminellen verbrachte. Auch die Schwiegertochter,
die junge Frau mit dem hellwachen Blick, war ihr sympathisch gewesen.
Das Mannloch,
an dem der Verleger geruckelt hatte, stand noch offen – so, wie sie es am Vormittag
zurückgelassen hatten. Vor dem Fass kauerte der Terrier. Die Vorderpfoten breitbeinig
gegen den Estrich gepresst, schüttelte er mit röhrendem Knurren seine Beute, die
eindeutig keine Maus war, sondern etwas viel Größeres, Stoffliches. Das im Hundemaul
wild umherschlackernde Ding erschien ihr im Kunstlicht in einem stumpfen Grünbraun.
Auf den zweiten Blick bemerkte sie, dass es eine Art Kappe war, eine Schiebermütze,
eine hessische Batschkapp. Auf den dritten Blick wurde ihr klar: Sie kannte die
Mütze. Hatte sie einst sehr oft gesehen.
Abwechselnd
schmeichelnd, schimpfend und drohend wollte sie dem Hund die Beute abnehmen. Auf
dieses Spiel hatte er gewartet. Tief grollend wollte er sich mit der ganzen Kraft
seines kleinen Körpers ins Zeug legen, sobald sie einen Zipfel erwischte. Jedes
Mal ließ sie los, damit der mürbe Stoff nicht riss, bis es plötzlich trotz aller
Vorsicht geschah: Mit hellem Ratschen trennten sich Kappe und Schirm. Der Hund stürmte
mit seinem Beuteteil davon, während Angela das Überbleibsel in den Händen drehte.
Die goldene Anstecknadel schloss jeden Zweifel an der Identität des Besitzers aus.
»Woher hast
du das, Kay? Kay!«
Wo steckte
das Kerlchen? Sie entdeckte den Mützenschirm. Er lag unbeachtet auf dem Boden.
»Kay! Hierher!«
Sie lauschte
am Fass. Durch das Holz war emsiges Scharren und aufgeregtes Knurren zu hören.
»Wenn du
nicht sofort …!«
Mit einem
langen Satz verließ der Terrier das Mannloch und hatte erneut Beute gemacht. Was
er ihr als Spielzeug präsentierte, ließ sie einen Augenblick an ihrer Wahrnehmungsfähigkeit
zweifeln. Vernebelte ihr der Alkohol das Gehirn? Sie ging in die Hocke und lockte
den Hund zu sich. Wachsam schlich er näher, seinen Fund im stolz erhobenen Maul,
auf der Hut und zum wieselflinken Ausweichen bereit. Sie schaute genauer hin. Nein,
den Wodka traf keine Schuld. Sie hatte richtig gesehen.
Trotz aller
Fragen, die auf sie einstürmten, das eine war sonnenklar: Ans Licht gebracht würde
Kays Entdeckung eine Lawine auslösen.
8
Mittwoch, der 13. Juli
Der Auftrag der Versicherungsdetektei
war sterbenslangweilig. Während Norma das Internet nach Adressen durchkämmte, gingen
ihre Gedanke eigene Wege und führten sie ins Weingut Adebar und dessen finsteren
Riesenkeller mit seinen unglaublichen
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