Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
er
der Nachfrage nach zuckersüßem Rheinwein gefolgt und hatte produziert, was die Reben
hergaben, ohne sich mit der Qualität aufzuhalten. Inzwischen war Karl selbst davon
überzeugt, dass ausgerechnet der Glykolskandal dem deutschen Weinbau die Wende beschert
hat. Weg von der Masse, hin zur Klasse. Bis dahin war er raus aus dem Spiel gewesen.
Nach dem Gerichtsverfahren, das ihm eine Geldstrafe einbrachte, war er nicht mehr
auf die Füße gekommen und hatte zu trinken begonnen.
Er war nur
einer von vielen kleinen Winzern, die ihren Kopf hinhalten mussten, während die
einflussreichen Weingroßhändler mit jenen hochrangigen Politikern kungelten, die
kräftig am Rebensaft mitverdienten und allzu emsigen Staatsanwälten die Kandare
anlegten, sofern diese nicht von vornherein am selben Strang zogen. Die ehrlichen
Juristen kämpften gegen Windmühlen, und die Prozesse gegen die Weinpanscher zogen
sich zäh über Jahre dahin. 1993 setzte Angela als junge Referendarin alles daran,
Harry Halvard seinen Anteil am Weinbetrug nachzuweisen – und scheiterte daran.
»Ist dir
nie die Idee gekommen, Ewald oder Harry könnten das Gift aus ihrem Keller zu uns
herübergeschafft haben? Wie konntest du nur diesen Gang vergessen! Den toten Medzig
hätte man nicht mehr belangen können. Harry aber wäre in den Knast gewandert.«
»Wäre! Hätte!«
In seine Stimme kam Leben. »Was habe ich mir das Hirn zermartert, wie das Dreckszeug
in meinen Keller gelangt ist. Alle möglichen Leute, von den Lieferanten bis zu den
Kunden, kamen mir verdächtig vor. Sogar unseren Lesehelfern habe ich misstraut.
Aber niemals unseren Nachbarn! Ewald hatte seine Fehler, aber er war kein Betrüger.
Und Harry? Nie im Leben hätte ich dem Bub etwas Niederträchtiges zugetraut. Deine
Verdächtigungen gegen ihn …«
»… hast
du als Hetzjagd bezeichnet. Daran musst du mich nicht erinnern, Vater.«
Er streichelte
den Kaffeefleck mit den Fingerspitzen. »Es war eine Zeit voller Lügen und Missverständnisse.
Ich wollte das nicht länger ertragen. Nicht einmal der Abschied von dieser Welt
ist mir gelungen.«
»Wofür ich
dankbar bin, Papa.«
Ihre Blicke
begegneten sich.
»Wirst du
Harry zur Rede stellen?«, fragte er schließlich.
Sie nahm
einen Schluck Kaffee und spürte den Zucker auf dem Zahnfleisch. »Wozu? Er wird alles
abstreiten.«
»Und Henriette?«
Die Nachbarin
habe immer in allem zu ihrem Verwalter gehalten, mehr als zu ihrem eigenen Sohn,
wandte Angela ein. »Sie sagt, sie erinnert sich nicht. Grundsätzlich kann sie behaupten,
Harry habe den Gang erst nach dem Weinskandal aufgespürt. Wir haben keine Beweise,
und abgesehen davon: Die Weinpanschereien sind verjährt.«
Ein leises
Klopfen an der Tür, und Sonja stand im Zimmer. »Der Herr Doktor will nach Ihnen
sehen, Herr Bennefeld.«
Angela verabschiedete
sich mit einem spontanen Kuss auf die Stirn. Sie konnte sich nicht erinnern, wann
sie den Vater zuletzt geküsst hatte. Karl nickte stumm und lächelte. Im Flur suchte
sie sich eine uneinsehbare Ecke und leerte den Flachmann in einem Zug.
7
Auf dem Heimweg hielt Angela bei
einem Lebensmittelmarkt, in dem sie selten einkaufte, und nahm neben den Zutaten
fürs Abendessen eine Flasche Nemiroff und zur Abwechslung einen Aquavit mit. Weder
Henriettes noch Olivers Wagen stand auf seinem Platz, als sie im Hof parkte. Mit
dem Korb unterm Arm schloss sie die Haustür auf. Kay umhüpfte sie glücklich und
flitzte zur Terrassentür.
»Sofort,
mein Lieber«, vertröstete sie ihn und ging in die Küche.
Sie packte
die Einkäufe auf den Tisch und legte die neuen Flaschen neben einen angebrochenen
Wodka ins Tiefkühlfach. Als alles fortgeräumt war, ließ sie den Hund hinaus und
amüsierte sich über seine ungestüme Jagd auf die am Himmel kreisenden Störche, die
für das winzige Großmaul tief unten wohl nur einen verächtlichen Blick übrig hatten.
Das Kläffen im Ohr, saß sie kurz darauf mit einem Wodkaglas am Küchentisch. Den
eiskalten Schluck hatte sie sich verdient nach dem aufwühlenden Besuch im Pflegeheim.
Seit sie von dem Gang wusste, spukte ihr Harry durch den Kopf. In diesem Zimmer,
dem armseligen Aufenthaltsraum der polnischen Lesehelfer, hatten sie sich zum ersten
Mal geküsst und geliebt. Ewald Medzig hatte das Haus nach dem Tod seiner Eltern
mit Etagenbetten aufgefüllt, die nur während der Lesezeit benutzt wurden.
Der Wodka
gab ihr Energie für den Erkundungsgang. Gut, dass sie Henriette vor Jahren den
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