Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
…«
Das war
keine Floskel. Lutz verfügte über die besten Verbindungen und schien halb Wiesbaden
persönlich zu kennen.
»Ich weiß,
Lutz, danke. Ich melde mich.«
Es wurde
Zeit. Mit wenigen Schritten erreichte sie das Weingut. Elisa erwartete sie im Hof.
Henriette Medzig ließ sich nicht blicken. Wie ein Häufchen Elend kam der Terrier
herangetrottet und schnüffelte lustlos an ihren Schuhen.
Mit bedauernder
Miene sah Elisa auf das Hündchen herab. »Kay vermisst Angela so sehr. Ich habe ihn
mit zu mir genommen. Wollen wir hineingehen?«
Das Haus
entsprach innen dem Erscheinungsbild, das die sanierte Fachwerkfassade erwarten
ließ. Eine ausgewogene Mischung aus Antik und Modern. Das Balkenwerk der Innenwände
war teilweise freigelegt. Den robusten Bodenfliesen der Diele schloss sich im Wohnraum
ein sanft polierter Parkettboden an. Nebenan die Küche im Landhausstil, in der man
eine Großfamilie hätte bekochen können. Auch Bad und Schlafzimmer lagen im Erdgeschoss.
Eine schmale Tür führte in eine Abstellkammer.
Norma fragte
nach dem Arbeitszimmer. Elisa wies hinauf ins Obergeschoss und ließ ihr den Vortritt
auf der steilen Holztreppe. Der Hund blieb zurück und verkroch sich unter den Stufen.
Auch der Dachausbau bewies den stilsicheren Geschmack der Staatsanwältin. Das private
Büro war in Normas Augen der schönste Raum. Zurückhaltend eingerichtet mit einem
akkurat aufgeräumten Schreibtisch, hellen Aktenschränken und einem eleganten Ruhesessel
in der Dachgaube, die bis zum Parkettboden verglast war.
Elisa trat
an die Fenster heran. »Hier war Angelas Lieblingsplatz. Sehen Sie selbst: Dieser
wunderbare Blick über Schiersteins Altstadt hinweg.«
Norma wandte
sich der Aussicht zu. Hinter der Landschaft aus Ziegeldächern in allen Nuancen von
Rot bis Braun erhoben sich die grün schimmernden Weinberge der Lagen Schiersteiner
Hölle und Dachsberg.
»Welch eine
Tragödie, sein eigenes Kind zu beerben«, sagte Elisa bekümmert. »Angela war wie
eine Tochter für mich, und Karl … Die Situation ist unerträglich für ihn. Wir haben
im Augenblick nicht die geringste Vorstellung davon, was mit dem Haus und all den
hübschen Dingen geschehen soll.« Sie tupfte sich mit einem Taschentuch über die
Augen.
Norma wartete,
bis Elisa sich wieder gefasst hatte. »Frau Dr. Bennefeld war nie verheiratet?«
Elisa schob
das Taschentuch in den Rockbund. »Keine Ehe und keine Kinder, was ihren Vater sehr
geschmerzt hat. Karl hatte sich Enkelkinder gewünscht, aber welcher Vater täte das
nicht? Als junge Frau war Angela verlobt, und der Hochzeitstermin stand bereits
fest. Sie waren ein so bezauberndes Paar, Angela und Adam. Warten Sie, es gibt ein
Foto!«
Sie bückte
sich zu einem Regal hinunter und öffnete eine Schublade. Ihre Zielsicherheit erweckte
den Eindruck, als hätte sie sich bereits genauer in ›all den hübschen Dingen‹ umgesehen.
Sie zog einen Pappumschlag heraus und reichte ihn an Norma weiter. »Schauen Sie
nur hinein!«
Das Foto
darin zeigte eine sehr junge Angela. Der junge Mann an ihrer Seite hielt sie umschlungen,
und das glückliche Lächeln der beiden wirkte echt. Sie waren festlich gekleidet.
Im Hintergrund konnte man die Säulenreihe des Wiesbadener Staatstheaters erkennen.
»Das war
1993 bei den Maifestspielen«, erklärte Elisa. »Karl hat das Foto gemacht. Angela
wollte es auf die Einladungen zu ihrer Hochzeit drucken. Sie war so verliebt! Ihr
Verlobter war Adam Dyzek, müssen Sie wissen. Dyzek! Der Name sagt Ihnen etwas?«
»Sie meinen
die Industriellenfamilie?«
Der Name
Dyzek fiel oft in Wiesbaden, entweder im Zusammenhang mit einem der bedeutendsten
Arbeitgeber der Gegend oder mit dem Förderer von Kunst, Kultur und Sportveranstaltungen.
Eine der Fabriken befand sich in Biebrich, nicht weit von Normas Wohnung entfernt.
Vom Dachfenster aus konnte sie das Firmenschild sehen.
Elisa nickte
so stolz, als wäre sie ein Mitglied des Familienclans. »Den Dyzeks gehört seit Generationen
ein Wiesbadener Traditionsbetrieb. Es heißt, kein westliches Auto fährt ohne Teile
von Dyzek.«
»Warum wurde
nichts aus der Ehe? Hat sich Adam Dyzek für eine andere entschieden?«
»Ich kenne
die Gründe nicht. Angela wollte nicht darüber reden. Sie hat sehr gelitten unter
der Trennung. Adam ging ins Ausland, nach Südafrika. Nach dem ersten Studium wollte
er unbedingt Winzer werden. Gegen den Willen des Vaters, das kann man sich vorstellen!
Statt ins Firmenimperium einzusteigen, wollte Adam
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