Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
auf
den rothaarigen Kopf einer in ein geblümtes Kleid gehüllten Dame herab.
Die Besucherin
spähte in die Küche und rief: »Elisa? Bist du hier?«
Als die
Antwort ausblieb, betrat sie die Abstellkammer und kam mit einem geräumigen, schwarzen
Reisekoffer wieder heraus.
Norma räusperte
sich und stieg langsam die Treppe hinunter. »Hier oben. Norma Tann!«
Kein Gespenst
hätte Henriette Medzig einen schlimmeren Schrecken einjagen können. Sie stellte
den Koffer ab und starrte Norma mit angehaltenem Atem entgegen.
Endlich
schnappte sie nach Luft. »Frau Tann, Sie sind es!«
Norma entschuldigte
sich. »Ich wollte Sie nicht beunruhigen. Elisa Bennefeld hat mich hereingelassen.«
»Mir ist
ein Schatten am Fenster aufgefallen. Aber Elisas Wagen steht nicht mehr im Hof.
Deswegen wollte ich nachsehen. Und außerdem den Koffer holen.«
»Sie möchten
verreisen?«
»Aber nein,
ich will Altkleider aus meinen Schränken aussortieren. Als Vorbereitung für den
Umzug. Angela hatte mir dafür den Koffer angeboten. Was tun Sie hier, Frau Tann?«
Ihre von
Natur aus helle Haut war kreidebleich. Dass Henriette bloß nicht auf die Steinfliesen
fiel!
Norma wies
in die Küche. »Wollen wir uns nicht setzen?«
Die alte
Dame schaute auf den Koffer in ihren Händen. »Ich müsste eigentlich rüber.«
»Nur für
zehn Minuten. Bitte.«
Wortlos
stellte Henriette den Koffer ab und ging mit in die Küche. Norma kam Elisas Angebot
in den Sinn, und sie beschloss, erst einmal Kaffee zu machen. Besser nicht in der
chromblitzenden Espressomaschine mit all diesen komplizierten Knöpfen. Im Schrank
entdeckte sie, was sie brauchte: Wasserkocher, Zuckerwürfel, Kaffeepulver und einen
Glaszylinder mit Filter. Im Kühlschrank stand eine frische Milchtüte. Auf dem Tisch
lag die Packung Kekse.
Schweigend
warteten beide, bis der Kaffee eingeschenkt war: Normas mit einem guten Schuss Milch,
Henriette Medzig wünschte ihn mit viel Zucker. Norma probierte den Kaffee, der guttat,
obwohl er viel zu stark geraten war. Die Digitalanzeige am Herd zeigte 11 Uhr, und
sie hatte bereits Appetit. Der nächste Blick galt den Keksen.
Henriette
Medzig rührte sich und nahm ihren Becher auf. »Also! Sie sind Privatdetektivin.
Hat Ihre Anwesenheit mit Angelas Tod zu tun?«
»Deswegen
hat Frau Bennefeld mich beauftragt«, bestätigte Norma.
»Die Polizei
sagt, es war ein Unfall. Was glaubt Elisa? Dass Angela ins Wasser gestoßen wurde?«
»Könnten
Sie sich das vorstellen, Frau Medzig?«
Henriette
hielt den Becher umklammert. »Wer würde so etwas tun?«
Kein bloßer
Spruch, schloss Norma aus dem Klang der Stimme. Die Frage schien die Winzerwitwe
zu beschäftigen. »Haben Sie einen Verdacht?«
Sie schwärze
niemanden an, lautete Henriettes knappe Antwort.
Norma versuchte
es auf einem anderen Weg. »Angela Bennefeld war für Sie mehr als eine Nachbarin.
Sie war Ihre Freundin. Stimmt mein Eindruck?«
Henriette,
die etwas Farbe gewonnen hatte, nickte bedächtig. »Zum Schluss, ja. Wir sind uns
nahegekommen. Das war nicht immer so. Es gab eine Zeit, da war ich mit Angela …«
»… zerstritten?«,
vollendete Norma den Satz. »Weil sie gegen Ihren Verwalter Ulf-Harald Halvard ermittelt
hat?«
»Ermitteln
nennen Sie das? Es war eine Verleumdungskampagne gegen Harry. Ausgebrütet von Angela
und diesem abscheulichen Staatsanwalt Kay Kaan. Wissen Sie, wie man den Mann genannt
hat? Den Terrier, weil er wie ein Wadenbeißer nicht mehr lockerlassen wollte.«
Norma amüsierte
sich im Stillen. Angelas spezieller Humor! Ob der Staatsanwalt a. D., falls er noch
lebte, seinen kläffenden Namensvetter billigen würde?
»1993 ging
es los«, erzählte Henriette. »Harry war nicht mehr bei uns angestellt, und Wein
hatten wir seit Jahren nicht mehr gekeltert. Angela hat Harry vorgeworfen, er habe
1985 mit Glykol gepanscht. Eine bodenlose Frechheit!«
»Wieso erst
acht Jahre später diese Vorwürfe?«
Die Ermittlungen
der Staatsanwaltschaften auf dem dies- und jenseitigen Rheinufer hätten sich hingezogen,
weil so vieles miteinander verstrickt gewesen sei, erklärte Henriette vage. Zu den
ersten Weinpanscherprozessen in Rheinland-Pfalz sei es gegen Ende der 1980er-Jahre
gekommen. Begonnen habe der Weinskandal im Frühjahr 1985 in Österreich und sei von
dort nach Rheinland-Pfalz und schließlich bis in den Rheingau gewandert.
»Wie Sie
es schildern«, warf Norma ein, »klingt die Glykolvergiftung wie ein Virus, dem man
hilflos ausgeliefert war. Ganz so unschuldig an
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