Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
lieber Weinbau studieren.«
»Und was
macht er jetzt?«
Soweit ihr
bekannt war, lebte Adam Dyzek auf seinem Weingut in Südafrika.
Norma verstaute
das Foto wieder im Umschlag und legte diesen auf den Schreibtisch. »Was wissen Sie
über Veit Lucas Wernhardt?«
Vor der
Begegnung in der Spielbank habe Angela ihn niemals erwähnt. »Am Mittwochabend, an
Angelas letztem Abend, gab es keine Gelegenheit mehr zum Reden. Ich hatte wie immer
ein Taxi für uns beide bestellt, aber sie wollte noch im Kurhaus essen. Aus dem
Taxi heraus habe ich sie nach Wernhardt gefragt. Ich war so neugierig auf diesen
Schauspieler. Es sei nur eine kurze Liebelei gewesen, meinte sie. Fast zwei Jahrzehnte
her und ohne Substanz.«
Es sei noch
eine Menge zu erledigen, sagte Elisa nach einer nachdenklichen Pause, die Trauerfeier
und anderes. »Dürfte ich Sie hier allein lassen?«
Norma war
es sehr recht. Es fiel ihr schwer, in den persönlichen Dingen einer Fremden zu kramen
– selbst wenn diese nicht mehr am Leben war. Ohne Beobachtung war es ein wenig leichter.
Elisa bot ihr an, sich in der Küche Kaffee zu kochen und an den Keksen zu bedienen.
Beim Gehen sollte sie die Haustür einfach zuziehen. Als sich Elisa verabschieden
wollte, erinnerte Norma sie an das aktuelle Foto von Angela, um das sie gebeten
hatte, und bekam ein gerahmtes Porträt ausgehändigt, das Angela für ihren Vater
hatte anfertigen lassen. Norma blieb im Obergeschoss. Unten lockte Elisa den Hund
zu sich. Seine Krallen klackerten über die Fliesen. Eine Tür schlug zu. Zurück blieb
die Stille eines verwaisten Hauses.
16
Der Rollladenschrank gebärdete sich
widerspenstig. Sie stöberte in den Schubladen herum, bis sie endlich unter der Schreibtischmappe
auf den passenden Schlüssel stieß. Im Container reihten sich die Aktenordner Seite
an Seite und verrieten ihren Inhalt auf den ersten Blick dank der ordentlichen Aufkleber,
die unter anderem die Bezeichnungen ›Hauskauf‹, ›Umbau‹ und ›Auto‹ trugen. Mit zwei
Ordnern setzte sie sich an den Schreibtisch. Der mit der Aufschrift ›Angie‹ gab
allerlei persönliche Unterlagen preis. ›Glykol‹ war prall gefüllt mit kopiertem
Material aus dem Landgericht Wiesbaden. Die meisten Unterlagen stammten aus dem
Jahr 1993. Der damalige Staatsanwalt hieß Kay Kaan, offenbar der direkte Vorgesetzte
der Referendarin Angela Bennefeld im Wiesbadener Landgericht. Einige Berichte hat
sie in seinem Auftrag abgezeichnet. Norma ließ für einen Augenblick den Ordner sinken.
Sie blätterte
weiter. Einige wenige Dokumente stammten vom damaligen Leitenden Oberstaatsanwalt
Waldemar Jördens. Darunter ein informelles Schreiben, das man durchaus als Warnschuss
verstehen konnte und in dem Jördens Angela unentschuldbare Formfehler vorwarf.
Norma legte
den Ordner zur Seite und verschaffte sich im ›Angie‹-Ordner einen Überblick über
Angelas Einstieg in das Juristenleben: Nach dem Abitur 1989, Angela ist 19 Jahre
alt, beginnt sie ihr Jurastudium, absolviert 1993 die erste Staatsprüfung und tritt
im gleichen Jahr ein Referendariat am Wiesbadener Landgericht an. 1996 folgt die
zweite Staatsprüfung, mit der sie ins Richteramt berufen wird; zunächst auf Probe.
Die Befähigung zum Richter ist Voraussetzung für das Amt des Staatsanwalts, entnimmt
Norma den Unterlagen.
Zurück zu
den Prozessakten, in denen immer wieder der Name Ulf-Harald Halvard auftauchte.
Jetzt wurde es spannend! 1993 wurde Ulf-Harald Halvard vorgeworfen, als Verwalter
des Weinguts Adebar in den Jahren 1984 und 1985 Wein mit Glykol gepanscht zu haben.
Der Sohn des ›Löwen von Wiesbaden‹, der aktuell als ›Weinpapst‹ von sich Reden machte,
hatte sich in den 1980er-Jahren als mutmaßlicher Weinpanscher verdächtig gemacht.
Und sogar kurzfristig in Untersuchungshaft gesessen! Im Glykoljahr 1985 war Angela
noch zur Schule gegangen. Sie hatte im Nachbarhaus gewohnt und musste Halvard gekannt
haben. Vermutlich war sie als Referendarin zu unbedeutend, um als befangen zu gelten.
Zum Prozess gegen Halvard kam es nicht. Die Ermittlungen wurde eingestellt, wie
aus den jüngsten Unterlagen hervorging. Warum hatte Angela die Akten kopiert und
aufgehoben? Weil es ihr erster Fall war? Dazu noch mit einem Angeklagten aus der
Nachbarschaft? Und: Wieso wurde erst 1993 gegen Halvard ermittelt?
Im Erdgeschoss
war etwas zu hören. Das Klappern eines Schlüsselbundes. Leise Schritte im Flur.
Norma schlug den Ordner zu und schlich zur Treppe. Über das Geländer sah sie
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