Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
der Misere können die Winzer nicht
gewesen sein. Es ist ein Unterschied, ob ich Glykol in einen Motor oder in ein Weinfass
schütte.«
Henriette
knallte den Becher auf den Tisch. »Die Rheingauer Winzer ahnten nichts davon! Zugegeben,
es war nicht in Ordnung, die Fässer mit billigem Wein aus Österreich aufzufüllen,
wenn die eigene Menge nicht ausreichte. Aber woher sollten die Winzer wissen, dass
der gekaufte Wein nicht sauber war? Hauptsache, er war süß genug für den Geschmack
der deutschen Weintrinker.«
»Damals
bevorzugte man andere Weine als heute«, stellte Norma fest.
Henriette
Medzig pflichtete ihr bei. »Mit trockenen Weinen durften Sie zu der Zeit keinem
kommen. Ich weiß es wie heute: Im Juli 85 hat der Bundesgesundheitsminister die
Öffentlichkeit darüber unterrichtet, dass in manchen Weinen Glykol drin sein könnte.
Danach gab es kein Halten mehr. Zeitungen, Radio, Fernsehen: Alle stürzten sich
auf das Thema. Schließlich blieb den Behörden gar nichts anderes übrig, als bei
den Winzern Stichproben zu nehmen.«
»Auch bei
Ihnen?«
»Im Herbst
85 wurde in einer Flasche unserer edelsüßen Spätlesen Glykol festgestellt. Harry
konnte nichts dafür. Ebenso wenig wie Ewald, mein Mann. Sie ahnten ja nichts von
dem Gift im österreichischen Wein.«
Henriettes
Erklärungen halfen Norma, sich einen Reim auf Angelas Unterlagen zu machen. »Der
Glykolnachweis in Ihrem Wein, Frau Medzig, verschwand zunächst in den Akten. Bis
Anfang der 90er-Jahre die Weinprozesse ins Rollen kamen und Angela als Referendarin
darin eingebunden wurde. Sie entdeckte einen Vermerk über die 1985 sichergestellte
Adebar-Spätlese und ging der Sache nach. Angelas Ermittlungen führten dazu, dass
Ihrem Geschäftsführer Ulf-Harald Halvard nicht nur vorgeworfen wurde, den eigenen
Wein mit fremdem Giftwein gestreckt zu haben. Halvard soll selbst jede Menge Glykol
eingekauft haben.«
Henriette
betrachtete die Holzmaserung der Tischplatte. Gedanken verloren sagte sie: »Im Oktober
85 ist Ewald in den Wald gegangen und nicht zurückgekommen. Einfach nicht zurückgekommen.
Die Ermittlungen gegen Harry hat er nicht mehr miterlebt.«
Im Abschiedsbrief
habe Ewald geschrieben, erklärte Henriette mit brüchiger Stimme, dass er sich auf
der Hallgarter Zange, seinem Lieblingswald, erschießen wollte. Seine Pistole sei
fort gewesen. Die Polizei habe tagelang das Dickicht durchkämmt. »Dort oben findet
man keinen, der nicht gefunden werden will.«
Norma stieß
unwillkürlich die Luft aus. »Ihr Mann stirbt den Freitod. Ihr Nachbar versucht es.
Und das nur wegen der Weinpanscherei?«
Das seien
nicht die alleinigen Gründe gewesen, räumte Henriette ein. »Ewald war krank. Deswegen
hat er Harry nach der Lehre einen Teil seiner eigenen Aufgaben übertragen. Die Krankheit
setzte ihm zu, und als im Herbst 85 diese Spätlese auftauchte … Ewald fühlte sich
öffentlich bloßgestellt.«
»Vielleicht
hat Halvard im Alleingang gepanscht?«
»Unsinn!«,
brauste Henriette auf. »Harry hatte damit nichts zu tun!«
Wer blieb
als Betrüger übrig? Ewald Medzig höchstselbst? Henriette bestritt den Vorwurf heftig.
»Und Ihr
Nachbar?«
Henriette
schnaufte abfällig. »Karl Bennefeld? Bei dem liegt der Fall anders. In seinem Keller
hat man tatsächlich Glykolkanister gefunden. Und zwar wesentlich mehr, als er für
seinen Traktor gebraucht hätte.«
»Hat man
auch gegen Karl Bennefeld ermittelt?«
Henriette
nickte. »Er war einer der Ersten, die vor Gericht mussten, und kam im Herbst 86
mit einer Geldstrafe davon. Er war sowieso erledigt. Das Weingut musste er verkaufen,
an Onno Halvard, weil er völlig verschuldet war. Harrys Vater ist als junger Mann
aus Ostfriesland hierher gezogen und hat sein Geld im Weinhandel verdient.«
Beide schwiegen.
Nippten am Kaffee. Norma hatte reichlich Stoff zum Nachdenken. Vor allem über Angela,
die junge Referendarin, deren Vater ein verurteilter Weinpanscher war.
»Sie sagen,
Sie selbst sind Angela eine Zeit lang nicht wohlgesonnen gewesen. Wieso haben Sie
ihr trotzdem das kleine Haus auf Ihrem Grundstück verkauft?«
Henriette
lächelte. »Angela hat nicht lockergelassen, und sie konnte bestrickend sein, wenn
sie wollte. Die Sache mit Harry lag lange zurück. Richtig geschadet hatten ihm die
Ermittlungen nicht, es kam nie zu einem Verfahren. In den vergangenen Jahren wurde
er als Weinjournalist immer erfolgreicher, und er ist ein angesehener Mann. Ich
persönlich bin nicht nachtragend. Sicher,
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