Edelsüß: Norma Tanns vierter Fall (German Edition)
Sie war nur zwei Autominuten vom Bahnholz entfernt, da könnte sie auf einen
Sprung bei Karl Bennefeld vorbeischauen; in der Hoffnung auf Glück oder Schwester
Sonjas freien Sonntagmittag. Sie fand einen Parkplatz im Schatten, hatte aber trotzdem
Bedenken, den Kater im Wagen zu lassen, und nahm ihn im Korb kurzentschlossen mit.
Vor dem Haupteingang saßen alte Damen, manche im Rollstuhl, in einer langen Reihe;
stumm und in sich gekehrt. Kaum jemand erwiderte ihren Gruß. Eine Frau erhaschte
einen Blick auf Leopold und kicherte vergnügt vor sich hin. Ein Mann in Jogginghose,
der sich die nächste Zigarette an der abgerauchten Kippe ansteckte, neigte den Kopf
zu einem halben Nicken. Im Haus war es still und kühl. Den Weg kannte sie vom vergeblichen
ersten Besuch. Sie nahm den Fahrstuhl zu Karl Bennefelds Flur, der verlassen dalag.
Sie schlich zur Tür, vergewisserte sich am Namensschild, dass es das richtige Zimmer
war, und klopfte laut an. Die gebrummte Antwort nahm sie als Aufforderung zum Eintreten.
Sie stellte
den Korb neben der Tür ab in der Hoffnung, dass der Kater weiterhin still vor sich
hin brüten würde, und trat an das Bett heran. Als hätte er seine letzte Lebensenergie
auf dem Schiersteiner Friedhof verloren, ruhte Karl Bennefeld unter einer Daunendecke,
die ihn zu erdrücken schien und nur die mageren Hände und den vogelartigen Kopf
frei ließ. Ein Zucken der Finger bewies, dass er die Besucherin bemerkt hatte. Zögernd
trat sie ans Bett heran. Sie spürte, wie viel Kraft es ihn kostete, den Kopf zu
drehen. Zaudernd beugte sie sich über ihn. Auf alles war sie gefasst, nur nicht
auf den schneidenden Blick aus wasserblassen Augen, unter denen sich dunkle Ringe
abzeichneten.
Seine Stimme
klang brüchig. »Ich kenne Sie doch. Von der Trauerfeier. Sind Sie eine Freundin
von Angela?«
Sie schaute
ihn an bei dem, was sie ihm sagen musste. Dass sie die Privatdetektivin sei, die
den Tod der Tochter aufklären solle. Beauftragt von seiner Frau, die nicht an einen
Unfall glaube. »Ihre Frau hat doch mit Ihnen darüber gesprochen? Mein Name ist Norma
Tann.«
Ein angedeutetes
Nicken, ein Flattern der rechten Hand. »Es wird Zeit, dass Sie zu mir kommen. Was
haben Sie da mitgebracht?
»Meinen
Kater. Er sitzt im Katzenkorb. Stört Sie das?«
»Sie werden
ihn ja nicht hierlassen. Nehmen Sie sich einen Stuhl. Dort drüben!«
Norma ging
zum Fenster und zog einen Besucherstuhl heran.
»Man sagt«,
hauchte er, »das Schlimmste, was Eltern zustoßen kann, sei, das eigene Kind zu verlieren.
Es ist ein Klischee, und es ist wahr. So straft Gott einen Mann, der einmal eine
fatale Entscheidung getroffen hat.«
Sie stellte
den Stuhl neben das Bett. »Sie meinen Ihren Sturz von der Christophoruskirche?«
Er hielt
den Blick gegen die Zimmerdecke gerichtet. »Ich war stockbesoffen und wusste nicht
ein noch aus. Angela dagegen hatte keinen Grund zum Verzweifeln. Trotzdem sie hat
getrunken. Ob es an den Genen liegt, frage ich mich. Sie hatte immer einen Flachmann
in der Handtasche und dachte, ich würde es nicht merken. Elisa bildet sich bis heute
ein, ich wüsste nichts davon. Aber das Leben hat sich meine Tochter nicht genommen.
Ganz bestimmt nicht!«
»Darauf
gibt es keine Hinweise«, bestätigte Norma.
»Wenn es
kein Suizid war und kein Unfall, wer könnte es getan haben? Gibt es einen Verdächtigen?«
Norma rückte
auf die Stuhlkante vor. »Drei Männer hat Angela an ihrem letzten Abend getroffen.
Ein vierter könnte in ihrer Nähe gewesen sein.«
»Wer sind
diese Männer?«
Sie zählte
die Namen auf.
Karl Bennefeld
nickte unter Anstrengung. »Oliver, Harry und Adam kannte ich früher einmal gut.
Diesen Schauspieler habe ich nur ein- oder zweimal getroffen. Das war nicht meine
Welt, diese Leute vom Theater.«
»Und Adam
Dyzek? Der Sohn aus reichem Haus? Was hielten Sie von ihm?«
Er lächelte
versonnen. »Sie waren ein bildschönes Paar, Adam und Angela. Adam hat sich für Weinbau
interessiert, neben diesem Computerkram. Es tat mir leid, als die Verlobung gelöst
wurde. Doch man kann niemanden zur Liebe zwingen.«
»Angela
wollte Adam nicht verzeihen. Dass er Ihr Weingut von Onno Halvard übernommen hatte
und es zwei Jahre später an den Staatsanwalt Jördens verkaufte.«
Die dünnhäutige
Hand flatterte über das Laken. »Der Handel war von langer Hand geplant, damit Jördens
die Untersuchung gegen Harry einstellte. Onno Halvard hatte einen Ruf als Weingroßhändler
zu verlieren. Und er wollte in der
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