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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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haben sie ja auch für uns nichts übrig.«
    Die anderen wussten nicht, was er meint. Deshalb hat er’s erklärt: »Die meisten von denen sind ja keine schlechten Leute, oder? Tief im Innern sind sie wahrscheinlich auch gegen das, was hier abgeht. Gegen den Krieg und die Bespitzelung und das ganze Zeug. Aber sie trauen sich nicht, was dagegen zu machen. Also haben sie ’n schlechtes Gewissen. Und jedes Mal, wenn sie Leute wie uns sehen, wird ihnen klar, wie feige sie selbst sind. Deshalb ist es ihnen am liebsten, wenn sie uns gar nicht sehen müssen. Ich sag euch, sie hätten nichts dagegen, wenn wir einfach verschwinden.« Er hat Kralle angestoßen, der neben ihm saß. »Was meinst du dazu?«
    »Se hassen uns, weil wer frei sin«, hat Kralle gebrummt.
    »Genau! Genau so ist es. Kralle hat gesprochen. Howgh!«
    Die anderen haben gelacht. Was Flint gesagt hatte, klang einleuchtend. Nur einer – ich glaub, er kam aus Dortmund – hatte was dagegen einzuwenden.
    »Für uns ist es aber auch leicht, frei zu sein«, hat er gesagt. »Wir haben nichts zu verlieren.«
    »Wie meinst du das?«, hat Flint gefragt.
    »Na, überlegt doch mal. Sie brauchen uns als billige Sklaven in den Betrieben, also werden sie uns die Arbeit schon mal nicht wegnehmen. Was anderes können sie uns auch nicht wegnehmen – aus dem einfachen Grund, weil wir nichts haben. Und Frauen und Kinder, die sie zur Rechenschaft ziehen können, sind auch keine da. Aber jetzt stellt euch mal vor, ihr seid so ’n Typ mit ’nem Haus
und ’ner Familie und ’ner tollen Stelle. Der kann alles verlieren, wenn er das Maul aufreißt. Also hält er seine Klappe und duckt sich weg.«
    Zuerst gab’s einigen Protest darauf, aber schließlich mussten doch alle zugeben, dass er recht hatte.
    »Kann ja sein«, hat einer von den Wuppertalern gesagt. »Aber ich hab zum Glück nicht die Probleme von so ’nem Großkotz. Und sie interessieren mich auch nicht.«
    Darauf konnte man sich einigen. Wir hatten keine Lust mehr zu reden, und deshalb hat Goethe seine Gitarre vorgeholt und angefangen zu spielen. Ich bin jedes Mal hin und weg, wenn ich ihm zuhöre. Alles, was er hat, sind diese sechs kleinen Saiten auf dem Ding, und dann zaubert er daraus Töne, die sich anhören, als kämen sie aus ’ner anderen Welt. Es ist schon komisch: Die anderen, die ihn nicht so gut kennen, machen sich gern ’n bisschen lustig über ihn. Weil er nicht so spricht wie wir und weil er so zarte Hände hat. Aber wenn er anfängt zu spielen, ist es vorbei damit. Dann ist er der König. Dann lacht keiner mehr. So war’s an dem Abend auch. Wir haben nur noch dagehockt, ins Feuer gestarrt und alles um uns rum vergessen.
    In der Nacht haben wir wie letztes Jahr unter den Sternen geschlafen. Die ganze Zeit hatten wir Wachen um den See verteilt, weil wir dachten, die HJ könnte sich wieder blicken lassen, aber alles blieb ruhig. Was natürlich ein gefundenes Fressen gewesen ist, um so richtig über sie herzuziehen. Wir haben gedacht, die trauen sich bestimmt nicht mehr her, weil ihnen die Schlappe vom letzten Jahr noch in den Knochen steckt.
    Aber damit hatten wir uns zu früh gefreut. Schon als wir gestern Nachmittag in die Rheinuferbahn zurück nach Köln gestiegen sind, haben wir auf dem Bahnhof ein paar komische Typen gesehen, die in der Gegend rumlungerten und uns beobachteten. Erst haben wir uns nichts dabei gedacht, aber als wir in Köln angekommen
sind, ist uns klar geworden, warum sie da gestanden hatten.
    Der Zug ist in den Bahnhof reingefahren und stehengeblieben, nur die Türen sind nicht aufgegangen. Keiner durfte aussteigen. Nach ein paar Minuten ist dann ein Riesentrupp von der SS über den Bahnsteig marschiert. Als wir sie gesehen haben, sind uns schon düstere Ahnungen gekommen. Die ganze Fahrt über hatten wir ordentlich Lärm gemacht und unsere Lieder gesungen, aber mit einem Mal ist es totenstill gewesen.
    Die von der SS sind vorne und hinten eingestiegen und haben den Zug durchkämmt. Nicht nur wegen uns natürlich. Da waren noch mehr Edelweißpiraten, aus anderen Stadtteilen. Bestimmt so an die fünfzig. Kamen alle vom Felsensee zurück – oder wo immer sie gewesen waren.
    An unseren Klamotten sind wir ja leicht zu erkennen. Die SS-Leute haben eine Gruppe nach der anderen hochgescheucht und nach draußen gejagt. Sie hatten Maschinenpistolen, deswegen hat sich keiner getraut, was dagegen zu tun. Ein paar von den Leuten im Zug haben applaudiert. Sie meinten, mit so ’nem

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