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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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schlug die Stelle auf, bis zu der ich gekommen war. Als er es sah, wirkte er enttäuscht.
    »Das ist nicht sehr weit. Findest du es langweilig?«
    »Nein! Es ist nicht langweilig!«
    »Was dann?«
    »Sie meinen: Warum ich es so langsam lese?« Ich nahm das Buch und steckte es ein. »Das hat einen anderen Grund. Ich sage es Ihnen, wenn ich fertig bin, ja?«
    Er seufzte, dann bekam er plötzlich einen Hustenanfall. Es schüttelte ihn am ganzen Körper. Ich saß da und wusste nicht, was ich tun sollte. Endlich wurde es besser. Er sah mich an und nickte.
    »Lass dir nicht zu lange Zeit«, sagte er. »Hörst du?«

31. Mai 1942
    Jetzt ist er also da: der Krieg. Letzte Nacht ist er gekommen. Mitten rein in unsere Stadt.
    Alles war so unwirklich. Denn eigentlich ist es ’ne Frühlingsnacht gewesen, wie man sich keine schönere wünschen kann. Lauwarm, und überall Blütenduft. Wir waren im Volksgarten, und zwar in dem Teil, den wir Rosengarten nennen. Da blüht’s in allen Farben, und zwischen den Büschen gibt’s viele versteckte Winkel, wo uns keiner findet.
    Bis tief in die Nacht haben wir da gesessen und gequatscht. Seit der Sache mit der SS sind wir so wenig wie möglich zu Hause, vor allem am Wochenende. Wie wir’s abgemacht haben, ist keiner von uns zur HJ gegangen, und wir wollen nicht, dass sie deswegen kommen und uns einkassieren. Jetzt, wo sie unsere Namen und Adressen haben.
    Darüber haben wir vor allem geredet gestern Abend: wie wir’s schaffen, dass sie uns nicht kriegen. Aber Flint hat noch ’n anderes Thema gehabt: wie wir uns für die Behandlung auf dem Polizeirevier rächen können. Was da passiert ist, geht ihm nämlich mächtig gegen den Strich, mehr als jedem anderen von uns. Er kann’s auf den Tod nicht ausstehen, wenn ihm einer so was antut und er’s nicht mit gleicher Münze heimzahlen kann.
    Während wir noch mittendrin waren, sind auf einmal die Sirenen losgegangen. Ich glaub, es war schon nach Mitternacht. Wir haben erst nicht groß drauf geachtet, weil die in den letzten
Monaten alle paar Nächte heulen. Meistens ist es Fehlalarm. Oder ein paar englische Bomber kommen, um irgendwelche Fabriken am Rand der Stadt anzugreifen. Bei uns in Ehrenfeld ist nie was Großes passiert.
    Aber in der Nacht war’s anders, das haben wir schnell gemerkt. Fast gleichzeitig mit den Sirenen hat das Donnern und Rattern der Flak angefangen. Nicht wie sonst an einzelnen Stellen, sondern überall. Hunderte von Scheinwerfern waren am Himmel, die Flak hat ’n Sperrgürtel rund um die Stadt gelegt. Es war ein Krach, der einem durch und durch gegangen ist. Wir sind aus dem Gebüsch, in dem wir waren, auf die große Wiese in der Mitte vom Volksgarten gerannt. Kaum sind wir angekommen, waren auch die Bomber schon da. Man konnte ihr tiefes Brummen hören, es war tausendmal lauter, als wir’s von früheren Angriffen kannten. Wenn man nach oben gesehen hat, waren sie einfach überall. Der ganze Himmel war voll mit ihnen.
    Dann sind die Bomben gefallen, und ein Höllenlärm ist losgegangen. Unendlich viele müssen’s gewesen sein, über der ganzen Stadt. Die Luft hat gezittert und die Erde gebebt, selbst im Volksgarten, wo wir standen. Erst hatten wir Angst und haben überlegt, uns zu verstecken. Aber dann haben wir gemerkt, dass direkt bei uns nichts runterkommt, und sind geblieben, wo wir waren. Der Anblick war schrecklich. Schon nach kurzer Zeit hat’s überall gebrannt, der ganze Himmel war rot vom Schein der Flammen. Es war ein richtiges Feuermeer. Egal, wohin wir uns gedreht haben.
    Ich weiß nicht, wie lang der Angriff gedauert hat. Dann ist der Lärm weniger geworden, die Bomber sind abgezogen, die Flak hat aufgehört. Plötzlich ist es still gewesen, man hat nur noch das Prasseln der Flammen gehört. Auch in Ehrenfeld war alles rot. Wir haben an unsere Mütter gedacht und sind losgerannt.
    Was wir gesehen haben in der Nacht, wird keiner von uns vergessen. Es war furchtbar. Überall schlugen Flammen aus den Häusern.
Dächer stürzten ein, die glühenden Trümmer regneten nur so auf die Straße. Aus manchen Fenstern sprühte die Glut raus, brennende Balken versperrten den Weg. Es war so heiß, dass man kaum atmen konnte.
    Irgendwie haben wir’s geschafft, uns nach Ehrenfeld durchzuschlagen. Ganze Straßenzüge brannten. Einmal haben wir gesehen, wie Leute, die nicht mehr rechtzeitig rausgekommen waren, aus ’nem oberen Stockwerk sprangen. Sie standen in Flammen, wie lebende Fackeln. Nicht auszudenken, wie

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