Edelweißpiraten
abzuliefern. Die würden sich fast umbringen, nur um den Akkord zu schaffen. Sonst verstehen wir uns gut mit denen, aber in dem Punkt ist nicht mit ihnen zu spaßen. Ist einfach ’ne andere Generation, schätz ich.
Gestern hat der Betriebsleiter alle in der großen Halle zusammengerufen und ’ne Ansprache gehalten. Wir wären hinter den Vorgaben zurück, hat er gesagt, und das nimmt er nicht länger hin. Schließlich ständ das Ansehen der Firma auf dem Spiel. In einigen Gruppen – und dabei hat er besonders uns Lehrlinge angesehen – wär die Arbeitsleistung so schlecht, dass es kein Zufall sein kann. Wir sollten bloß aufpassen: Wenn wir absichtlich die Produktion behindern, wär das Sabotage und könnte mit dem Tod bestraft werden. Jeder, den sie dabei erwischen, würde gemeldet – und für alles Weitere hätten wir selbst die Verantwortung zu tragen. Nach ’nem besonders zackigen »Heil Hitler!« hat er uns entlassen.
Wir sind wieder an die Arbeit getrottet. »Lasst bloß den
Quatsch«, hat einer von den Älteren geflüstert und uns Lehrlingen ’n drohenden Blick zugeworfen. »Sabotage ist ’ne verdammt ernste Sache, und wenn’s auffliegt, seid ihr nicht nur selbst dran, sondern wir anderen gleich mit. Außerdem hat’s sowieso keinen Zweck. Ihr bringt uns nur in Gefahr!«
Heute musste ich noch öfter daran denken, und dann bin ich wütend geworden. Warum redet der eigentlich von Gefahr? Wir könnten viel mehr tun, und keiner würd sich in Gefahr bringen. Nur müssten wir uns einig sein – und zusammenhalten.
Das
ist es doch, woran’s fehlt.
16. September 1942
In letzter Zeit haben wir fast nur noch am Bunker übernachtet. Auch die Mädchen. Es ist warm genug dafür – und zuhause hält uns nichts. Unsere Mütter sind zwar ganz in Ordnung, aber so richtig reden können wir mit denen nicht. Jedenfalls nicht über das, was wichtig ist. Für das, was wir tun, haben sie kein Verständnis. Sie hätten’s lieber, wenn wir bei ihnen bleiben anstatt uns rumzutreiben und Ärger zu kriegen. Aber die Zeit, wo sie uns was vorschreiben konnten, ist vorbei. Wir verdienen unser eigenes Geld. Also können wir auch machen, was wir wollen.
Abends ist oft ’ne ganz merkwürdige Stimmung da am Bunker. So um neun oder zehn kommt immer ’n Haufen von alten Leuten, alle aus Ehrenfeld. Die meisten haben Koffer und Klappstühle dabei und setzen sich schon mal auf Verdacht vor den Eingang. Wenn dann wirklich Alarm ist, sind sie als erste drin und können sich die besten Plätze sichern. Wir sitzen immer ein Stück abseits und machen uns über sie lustig. Aber das ist nur Spaß, eigentlich können wir sie gut leiden.
Gestern Abend, als es dunkel war, sind die Sirenen wieder losgegangen.
Die Alten sind rein in den Bunker, und dann kamen auch die anderen angerannt. Die meisten schlafen jetzt in ihren Klamotten und haben den Koffer am Bett, damit sie schneller da sind. Wir sind wie üblich draußen geblieben, und dann ist auch nicht viel los gewesen. Auf der anderen Rheinseite, in Kalk und Mülheim, haben sie was abgeworfen, aber hier bei uns war’s ruhig. Der Spuk war bald vorbei, und nach ’ner Stunde oder so war der Bunker wieder leer.
»Schätze, das war’s für heut Nacht«, hat Flint gesagt. »Öfter als einmal sind sie noch nie gekommen.«
»Sind eben echte Ehrenmänner, die Engländer«, hat Frettchen gemeint. »Hab ich schon immer gesagt: Die wissen noch, was sich gehört.«
»Dann erklär mir aber mal eins«, hat Tilly gesagt. »Wenn sie solche Ehrenmänner sind: Warum bombardieren sie dann immer nur die Arbeiterviertel und nicht die der Reichen? Ist doch ’ne Sauerei, oder?«
Sie hat recht. Hier in Ehrenfeld oder in Nippes liegen ganze Straßenzüge in Schutt und Asche, während manche der besseren Viertel noch gar nichts abgekriegt haben. Zufall kann das kaum sein.
Der Lange hat gemeint, es hat mit der Rüstungsindustrie zu tun. Sie wollen die Fabriken treffen – und die Arbeiter eben. Denn wenn’s keine Arbeiter mehr gibt, kann nichts mehr produziert werden. Und wenn nichts mehr produziert wird, ist die Wehrmacht bald am Ende.
»Ich glaub, es steckt noch was anderes dahinter«, hat Flocke gesagt. »Diese Flugblätter, die die Tommys nach ihren Angriffen immer abwerfen: Habt ihr mal eins davon gelesen?«
Bevor wir antworten konnten, hat sie unter ihre Bluse gegriffen und hatte auf einmal eins davon in der Hand. Als Tilly es gesehen hat, ist sie fast nach hinten umgefallen.
»Mensch, Flocke,
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