Edelweißpiraten
viele schon unter den Trümmern begraben waren.
Wir haben uns getrennt, alle wollten so schnell wie möglich nach Hause. Tom und ich, wir sind in die Klarastraße gerannt. Da brannten auch ein paar Häuser, aber zum Glück nicht alle. Die Leute waren auf der Straße und haben versucht zu löschen. In ’ner langen Reihe haben sie dagestanden, die Wassereimer gingen von einem zum anderen. Meine Mutter und die von Tom waren auch dabei. Wir waren heilfroh, sie zu sehen. Sind zu ihnen hin und haben uns mit in die Reihe gestellt. Viel geholfen hat’s nicht: so wenig Wasser gegen so viel Feuer. Aber darüber hat keiner nachgedacht. Alle wollten einfach nur was tun – und wenn’s noch so sinnlos war.
Bis zum Morgen haben wir geschuftet, dann konnte keiner mehr. Da gab’s auch nur noch ein paar kleine Brände unter den Trümmern. Die sind nicht der Mühe wert, die gehen irgendwann von alleine aus.
Die Leute sind alle in ihre Häuser, nur Tom und ich nicht. Wir haben die anderen abgeholt und sind mit ihnen durch die Straßen gelaufen. Die Sonne ist gar nicht richtig aufgegangen. Am Himmel sind dicke schwarze Rauchwolken gewesen, dagegen hat sie keine Chance gehabt. Wo immer wir hinkamen, war so ein stechender, süßlicher Brandgeruch. Der macht einen ganz krank, wenn man zu viel davon abkriegt.
Wir haben schlimme Sachen gesehen. Lastwagen, bis oben voll mit verbrannten und verkohlten Menschen. Die konnte man gar nicht mehr erkennen. Es hat uns geschüttelt, als sie vorbeigefahren sind. Und wir haben gedacht: Jetzt hat uns der Krieg also doch erwischt. Viele von den Älteren hier in Ehrenfeld haben gewarnt, es würd noch auf uns zurückfallen, was die da oben anstellen. Wir wollten ihnen erst nicht glauben. Jetzt wissen wir, dass sie recht hatten. Und, wer weiß, hat der Lange heute gesagt: Vielleicht war’s ja nur der Anfang.
18. Juni 1942
Seit der Bombennacht sind die Leute wütend in Ehrenfeld. Gar nicht mal auf die Engländer, die’s getan haben. Schließlich hätten wir ja angefangen mit den Angriffen, sagen sie. Und da dürfte man sich nicht beschweren, wenn was zurückkommt.
Nein, sie sind wütend, weil’s ihnen dreckig geht und ihnen keiner hilft. So viele haben ihre Wohnungen verloren, oder welche aus ihren Familien sind bei dem Angriff gestorben. Und was wird für sie getan? Nichts! So ’n blöder Wagen ist am Tag danach durch die Straßen gefahren, und es hat warme Suppe für alle gegeben. Das war’s. Den Mist hätten sie sich genauso gut sparen können, sagen viele.
Im Rundfunk haben sie verkündet, die Engländer hätten bei dem Angriff so schwere Verluste gehabt, dass sie nie wieder zurückkommen. Aber die Leute, die die ausländischen Sender hören, erzählen heimlich was anderes. Mehr als tausend Flugzeuge sind’s gewesen, deshalb nennen wir’s jetzt den »1000-Bomber-Angriff«. Und von denen hat unsere Flak so wenige erwischt, dass es nicht mal der Rede wert ist. Die kommen zurück, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Manche erinnern sich daran, was Göring gesagt hat. Damals, als der Krieg losging. Er will Meier heißen, wenn auch nur ein einziger englischer Bomber bei uns auftaucht. Deshalb nennen ihn jetzt alle so – und das ist garantiert nicht freundlich gemeint.
Außerdem hat sich bei dem Angriff rausgestellt, dass es in Ehrenfeld gar nicht genug Bunker für alle gibt. Ist ja auch nicht so wichtig, sagen die Leute, hier wohnt ja nur Abschaum. Und hinter vorgehaltener Hand erzählen sie, dass es für die hohen Tiere in der Partei, für Grohé und Konsorten, richtige Luxusbunker gibt. Da wird geprasst und gefeiert, während ringsum alles in Trümmer fällt und die armen Schweine nicht wissen, wohin sie sich retten sollen.
Na, jedenfalls sind das die Dinge, die die Leute wütend machen. Kann man richtig spüren, wenn man über die Straße geht. Aber es ist keine offene Wut, eher so was Ohnmächtiges. Keiner würde laut rausschreien, was er denkt, das gibt’s gar nicht. Es wird nur drüber geflüstert, wenn man zu Hause ist oder unter Leuten, die man von klein auf kennt.
Denn es ist nicht nur die Wut, die größer wird. Es ist auch die Angst. Irgendwie kommt’s einem vor, als wären immer mehr Spitzel unterwegs. Gegen Neulinge ist man hier ja schon immer misstrauisch gewesen. Aber jetzt hat’s Fälle gegeben, wo auch Alteingesessene wen bei der Gestapo verpfiffen haben, weil sie noch ’ne Rechnung offen hatten. Seitdem vertrauen die Leute erst recht keinem
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