Edelweißpiraten
Angriffen so weitergeht. Also müssen wir auch keine übertriebene Rücksicht drauf nehmen.«
Wir haben uns an das erinnert, was die Wuppertaler am Felsensee über ihre Flugblätter erzählt hatten, und haben beschlossen, es ihnen nachzumachen. Der Lange hat gemeint, er kennt einen, der als Lehrling in ’ner Druckerei arbeitet. Der würd so ticken wie wir und wär ’n verschwiegener Kerl, und er wollte mal versuchen rauszukriegen, ob sich mit dem was machen lässt.
Ein paar Tage später hatte er die Sache eingefädelt. Er hat nicht erzählt, wie der Typ heißt, nur dass wir ihm vertrauen können. Wir haben auch nicht nachgefragt. Manchmal ist es besser, Dinge nicht zu wissen. Wär ich der Typ, hätte ich auch drauf bestanden.
Vor ungefähr zwei oder drei Wochen sind die ersten Flugblätter fertig gewesen, inzwischen haben wir mehrere mit verschiedenen Texten. Wir schreiben nie viel drauf, weil die Leute ja nicht gleich ’n ganzen Roman lesen wollen. In der Regel ist es nur ’ne Schlagzeile, so wie »Nieder mit den Nazis« oder »Macht Schluss mit dem Krieg«, und dann noch, dass es alles Lüge ist mit der Propaganda und wie’s stattdessen wirklich aussieht.
Meistens übernehmen Flocke und der Lange das mit den Texten, die haben am meisten Talent dafür. Wenn’s aber ans Verteilen geht, hat Flint das Sagen, da ist er in seinem Element. Jedes Mal hat er ’ne neue Idee, wie wir’s machen können. Beim ersten Mal haben wir die Flugblätter auf dem Bahnhofsklo versteckt, weil die Leute da am ehesten Zeit zum Lesen haben und keine Angst haben müssen, dass sie wer dabei sieht. Beim zweiten Mal sind wir in die Kirchen gegangen und haben sie in die Gesangsbücher gelegt. Und demnächst will Flint sich was einfallen lassen, wie wir sie in den Betrieben in die Kantinen schmuggeln.
Das mit den Briefkästen in Ehrenfeld haben wir nicht noch mal gemacht. Es ist zu riskant. Die würden uns sofort verdächtigen und wieder ins EL-DE-Haus karren. Und wer weiß, was für Methoden sie sich dann einfallen lassen! Wir schreiben auch nie was auf die Flugblätter drauf, aus dem man sehen kann, von wem sie stammen. Der Lange hat mal vorgeschlagen, wir könnten doch ’n Edelweiß draufsetzen, aber von der Idee sind wir schnell wieder abgekommen. Viel zu gefährlich! Außerdem, hat Flocke gesagt, sollen die Leute sich ruhig selbst Gedanken machen, wer dahintersteckt – könnte ihnen nicht schaden.
Manchmal frag ich mich, was aus den Flugblättern wird und ob sie überhaupt ’ne Wirkung haben. Aber Flint meint, die Frage wär überflüssig. Erstens würden wir’s sowieso nie rausfinden. Und zweitens wären all die großen Sachen in der Geschichte nie passiert, wenn die Leute erst drüber nachgedacht hätten, ob’s ’n Sinn hat, was sie tun. Einfach machen und nicht drüber nachdenken, hat er gesagt: Das ist es, worauf’s ankommt.
22. August 1943
Jetzt wissen wir also, was wir sind: ’ne Bande von Verbrechern. Ein »Geschwür am Volkskörper, das ausgebrannt und vernichtet werden muss«. So steht’s in der Zeitung, der Lange hat’s gelesen. Immerhin: So weit haben wir’s gebracht.
Die Idee zu der Aktion hat Flint gehabt. Vor zwei Wochen oder so ist er damit gekommen. »Wir müssen mal was richtig Großes machen«, hat er gesagt. »Nicht immer nur Flugblätter auf ’m Klo verstecken! Wir steigen in die Kuppel vom Hauptbahnhof und lassen sie von da auf die Leute runterregnen. Wenn das klappt, spricht ganz Köln davon.«
Wir haben erst gedacht, er hat sie nicht mehr alle. Aber er
war so begeistert von der Idee und hat so lange auf uns eingeredet, bis wir zum Bahnhof sind und uns die Sache angesehen haben. Er selbst war schon dagewesen und hatte alles geplant. Den gefährlichsten Teil – das Hochklettern mit den Flugblättern – übernimmt er selbst, hat er erklärt. Wir anderen sollten unten Schmiere stehen, falls die Polente auftaucht. In jeder Ecke müsste einer von uns sein, und in der Mitte – also genau unter ihm – sollten sich zwei als Liebespärchen tarnen. Das hätte den Vorteil, dass sie in alle Richtungen sehen können, ohne aufzufallen. Solange sie eng zusammen blieben, würd’s für ihn bedeuten, dass alles in Ordnung ist. Sobald sie aber auseinandergingen und anfingen, sich zu streiten, müsste er volle Deckung nehmen. Auf die Art könnten sie ihn warnen, ohne dass dadurch gleich alles verraten wird.
Der Plan hat sich nicht schlecht angehört, aber als wir hoch in die Kuppel gesehen haben, ist uns
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