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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Reinhardt
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war nämlich nicht nur ’n Angriff, es war ’n halber Weltuntergang. Hundertmal heftiger als der 1000-Bomber-Angriff im letzten Jahr. Irgendwann war so viel Rauch und Staub in der Luft, dass wir kaum noch atmen und gar nichts mehr sehen konnten, deshalb sind wir schließlich auch in den Bunker.
    Der Luftschutzwart wollte uns Plätze anweisen. Aber wir haben so getan, als gäb’s ihn nicht, und uns hingesetzt, wo’s uns passt. Es war ’ne mächtig beklemmende Stimmung da unten. Alle haben auf ihren Stühlen gehockt, Koffer zwischen den Beinen und Gasmaske im Schoß, und drauf gewartet, was kommt. Ein paarmal waren die Einschläge so nah, dass der Putz von der Decke gerieselt ist. Einmal ist sogar der Strom ausgefallen. Es war stockdunkel, alle haben gekreischt, der Luftschutzwart hat rumgebrüllt und sich wichtig getan. Aber nach ein paar Minuten ist
das Licht wieder angegangen, und irgendwann war der Spuk vorbei. Der Lärm hat aufgehört, und wir haben gesehen, dass wir rauskommen aus dem Loch.
    Alle wollten wissen, was bei ihnen zuhause los ist, deshalb haben wir uns getrennt. Tom und ich, wir haben auf unsere Mütter gewartet und sind mit ihnen zurück zur Klarastraße. An unseren Häusern war nicht viel passiert, aber ein paar andere in der Nähe brannten oder lagen in Trümmern. Wir sind hin und haben versucht zu helfen. Was wir gesehen haben, war furchtbar. An einem Haus war der Keller verschüttet, in den sich die Leute geflüchtet hatten. Wir konnten ihre Schreie hören. Wir haben versucht, die Trümmer wegzuräumen und uns zu ihnen vorzuarbeiten. Aber es war zwecklos, das halbe Haus lag drüber. Irgendwann konnten wir nicht mehr und mussten aufgeben. Die Schreie hatten da auch längst aufgehört.
    Ständig sind Leute durch die Gegend gelaufen, die gar nicht mehr bei sich waren. Voll mit Blut und Dreck haben sie nach irgendwem gerufen, nach ihren Kindern oder sonst wem. Und dann kamen neue Angriffe. Jetzt mit Splitterbomben und Luftminen, mitten rein in die brennenden Straßen. Alle paar Minuten mussten wir volle Deckung nehmen. Überall neben uns lagen Tote unter den Trümmern.
    Heute war ich mit Flint und Tom unterwegs, um zu sehen, was von Ehrenfeld übrig ist. Viel ist es nicht, die halbe Stadt liegt in Schutt und Asche. Zwangsarbeiter graben die Leichen aus, und in jeder Straße sieht man die Ausgebombten, wie sie ihre Siebensachen auf irgend ’n Wagen laden und wegfahren. Wohin’s gehen soll, wissen sie meistens selbst nicht.
    »Ich sag euch, das mit den Splitterbomben hatte System«, hat Flint gemeint. »Sie haben sie runtergeworfen, als alle draußen waren, um zu helfen. Die wollen möglichst viele erledigen, glaubt’s mir.«
    »Aber warum?« Tom hat den Kopf geschüttelt. »Ich versteh’s nicht. Den Krieg haben doch nicht wir armen Schweine in Ehrenfeld angefangen, sondern die Nazi-Bonzen in Berlin. Warum halten die Engländer sich nicht an die?«
    »Ach, hör auf zu träumen«, hat Flint gesagt. »Die da oben sind doch alle gleich. Egal, in welchem Land.«
    Als wir weitergegangen sind, haben wir gesehen, dass die HJ schon ganze Arbeit geleistet hatte. Überall waren sie mit Farbeimern langgelaufen und hatten Durchhalteparolen an die Mauern geschrieben. So was wie: »Der Endsieg ist unser!« Oder: »Das deutsche Volk gibt nicht auf!« Wir wussten nicht, ob wir drüber lachen oder weinen sollten, so krank kam’s uns vor.
    Irgendwann ist Flint neben einem von den Sprüchen stehengeblieben. »Der Kampf geht weiter!« stand da an der Wand. Er hat drauf gezeigt und uns angesehen.
    »Was meint ihr, Leute?«, hat er gesagt. »Soll das vielleicht ’ne Aufforderung sein?«

31. Juli 1943
    Lang hat’s nicht gedauert, bis wir den Spruch an der Wand in die Tat umgesetzt haben. Ein paar Tage nach dem Luftangriff haben wir uns im Volksgarten getroffen, und eigentlich waren wir ziemlich schnell einer Meinung: Wir dürfen uns nicht gleich aus der Bahn werfen lassen, nur weil die Gestapo uns auf den Zahn gefühlt hat! Schließlich ist außer ’n paar blutigen Nasen nichts passiert. Und wenn wir aufpassen, bleibt’s auch dabei.
    Außerdem hat uns die kalte Wut gepackt, wenn wir an den Tag im EL-DE-Haus gedacht haben. »Wir können das nicht einfach auf uns sitzen lassen«, hat der Lange gemeint. »Wir müssen was tun und es denen zeigen. Das sind wir uns schon selbst schuldig.«
    »Ja«, hat Flint gesagt. »Und abgesehen davon ist unser Leben sowieso keinen Pfifferling mehr wert, wenn’s mit den

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