Edelweißpiraten
Möglichkeit, Geld zu verdienen, gibt’s dann nicht mehr für sie.
Inzwischen haben sie ihre ersten Erfahrungen gemacht. Vor ein paar Tagen hat mir Flint davon erzählt. Ich hab mit den Ohren geschlackert, so neu war das für mich.
»Was könnt ihr denn so besorgen?«, hab ich ihn gefragt.
»Na, alles, was du brauchst. Willst du ’n Stück saftigen Rehbraten? Kein Problem, gib ’ne Uhr dafür. Oder ’ne fette Weihnachtsgans? Mit ’n paar Stücken aus der Schmuckschatulle bist du dabei. Warum willst du sie auch behalten? Der Kram ist sowieso nutzlos, bald liegen wir alle unter der Erde.«
»Aber – wo kommen die Sachen her? Ich meine: Rehbraten! So was gibt’s doch seit Jahren nicht mehr.«
»Falsch! Hat’s immer gegeben. Aber nicht für die kleinen Leute. Bloß für die Bonzen.«
»Und wie läuft das Ganze?«
»Wie’s immer läuft. In der Kriegswirtschaft gibt’s ’ne Menge kleine, korrupte Beamte, die sich gern was dazuverdienen. Also zweigen sie von den Sachen, für die sie zuständig sind, was ab und verkaufen’s auf eigene Faust. Immer so viel, dass es keinem
auffällt. Die, die’s aufkaufen, sind die dicken Fische im Spiel, die verdienen sich dumm und dämlich. Dagegen sind so welche wie Kralle und ich, die ab und zu mal was von ihnen zu den kleinen Leuten weiterschieben, gar nicht der Rede wert.«
»Aber – diese dicken Fische: Wie schaffen die’s, dass sie nicht auffliegen? Wenn sie so fett drin sind im Geschäft, hätte sie doch längst mal einer erwischen müssen!«
Flint hat gegrinst. »Klar doch. Jeder weiß, wer die Typen sind. Wenn die Nazis wollten, könnten sie einen nach dem anderen davon hochgehen lassen. Aber sie wollen nicht. Die Kerle sind nämlich nicht dumm. Sie beliefern die hohen Tiere aus der Partei mit allem, was die brauchen. Umsonst natürlich. Und nur vom Feinsten! Im Gegenzug werden sie von ihnen geschützt. Eine Hand wäscht die andere!«
»Du meinst, das mit der Propaganda – Sabotage und so …«
»Gilt nur für die Kleinen, nicht für die Großen. Und für die aus der Partei erst recht nicht. Mach dir nichts vor, Gerle. Egal, wo du hinsiehst: Hier stinkt’s. Und zwar gewaltig!«
Er hat noch mehr erzählt, und als ich das gehört hab, hab ich gedacht: Na, wenn das so ist – dann mal ran an den Speck! Ich hab den Verdacht, dass meine Mutter manchmal heimlich Kohldampf schiebt, nur damit ich satt werde, und der Gedanke geht mir ehrlich gesagt gegen die Ehre. Hab mit Tom drüber gesprochen, und deshalb weiß ich, dass es ihm mit seiner Mutter genauso geht. Also werden wir demnächst bei Flint und Kralle mal ’n paar ordentliche Sachen in Auftrag geben, damit wir wieder was auf die Rippen kriegen.
Keine falsche Zurückhaltung, haben wir uns gesagt. Schließlich soll man sich seine Führer doch zum Vorbild nehmen!
19. Februar 1944
Kaum zu glauben! Hinter der Gleichgültigkeit und den stumpfen Blicken gibt’s doch noch ein paar mutige Leute, die sich was trauen – zumindest hier in Ehrenfeld. Und das ist auch verdammt nötig gewesen letzte Nacht. Nicht auszudenken, was mit Tilly und mir sonst passiert wär.
Nach unserer Aktion am Hauptbahnhof letzten Sommer ist ja erst mal der Teufel los gewesen. Die Nazis haben alles versucht, um rauszukriegen, wer dahintersteckt. Wir haben vorsichtshalber ’ne Zeit lang die Füße stillgehalten, und zum Glück sind sie auch nicht auf uns gekommen. Wahrscheinlich trauen sie uns ’ne Sache in der Größenordnung nicht zu und denken, es müssten die Kommunisten gewesen sein oder irgendwelche englischen Spione oder sonst wer.
Als wir gemerkt haben, dass sie uns nichts können, haben wir die Fühler wieder ausgefahren und weitergemacht. Im Herbst hat’s noch ein paar Aktionen mit Flugblättern gegeben, aber keine so großen mehr, das war uns fürs Erste zu riskant. Und im Winter – als es so kalt wurde, dass ’n vernünftiger Mensch nicht mal seinen Hund rausjagt – haben wir angefangen, nachts rumzugehen und Parolen an die Mauern zu pinseln. Immer da, wo wir wussten, dass am Morgen viele Leute vorbeikommen. Flint und Kralle haben damit angefangen, und als ihnen nichts passiert ist, haben’s die anderen nachgemacht. Tom und Flocke haben’s vor ein paar Wochen zum ersten Mal getan, und dann haben Tilly und ich uns auch getraut.
Letzte Nacht sind wir wieder unterwegs gewesen. Wir hatten uns ’ne Bahnunterführung ausgesucht. Erstens, weil da morgens
viel Volk auf dem Weg zur Arbeit durch muss, und zweitens, weil
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