Eden Inc.
fasziniert. Er würde sowohl nach ihnen lechzen als sich vor ihnen fürchten. Und er wäre irrsinnig eifersüchtig auf jeden anderen Mann, der es wagt, sie zu besitzen. In dieser Hinsicht gibt es jede Menge Fallstudien.«
Lash legte erneut eine Pause ein. »Gibt es Probleme mit dieser Hypothese? Ja. Soziopathen sind nur selten so genial.
Außerdem kümmern die Taten, die sie begangen haben, sie nur selten. Ich glaube nämlich, dass unser Freund Richard wegen seiner Taten ein äußerst schlechtes Gewissen empfindet. Oder zumindest ein Teil seines Ichs.«
Er drehte sich zu Silver um. »Ich weiß etwas über die Thorpes: Ich weiß von der ärztlichen Nachuntersuchung und der hohen Scolipan-Dosierung. Doch welche Verabreichungsform haben Sie bei Karen Wilner angewandt?«
Die Frage stand im Raum. Endlich räusperte sich Silver.
»Ich habe keine >Verabreichungsform< angewandt. Weil ich niemanden umgebracht habe.« Seine Stimme klang nun anders: grober, abgehackter. »Ms. Stapleton, Ihnen ist doch wohl klar, dass er sich nur an einen Strohhalm klammert.
Dr. Lash ist verzweifelt, er würde alles sagen und tun, um sich aus der Schlinge zu ziehen.«
»Wenden wir uns der zweiten, wahrscheinlicheren Hypothese zu«, sagte Lash. »Richard Silver leidet an einer dissoziativen Identitätsstörung. Im Volksmund hat man das früher als gespaltene Persönlichkeit bezeichnet.«
»Ein Mythos«, höhnte Silver. »Gibt’s nur in Schundfilmen.«
»Wenn’s doch nur so wäre. Ich behandle zufällig gerade einen solchen Patienten. Patienten dieser Art sind eine echte Herausforderung. Normalerweise läuft es so, dass ein Mensch in jungen Jahren ein Trauma erlebt. Manchmal geht es um sexuellen Missbrauch, manchmal aber auch um körperliche oder einfach emotionale Misshandlung. Mein gegenwärtiger Patient hatte zum Beispiel einen Vater, der ihn geprügelt und ihm alles nachgetragen hat. Für manche Kinder können solche Traumata unerträglich sein. Sie sind zu jung, um zu verstehen, dass sie daran keine Schuld haben.
Besonders wenn die Misshandlung von einem so genannten lieben Anverwandten ausgeht. Deswegen spalten sie sich in mehrere Persönlichkeiten auf. Im Grunde entwickeln sie andere Menschen, die an ihrer Stelle die Misshandlungen hinnehmen.« Er schaute Silver an. »Wieso sind die Jahre Ihrer Kindheit eigentlich ein solches Geheimnis? Warum halten Sie sich lieber in Gesellschaft eines Computerbildschirms als in der anderer Menschen auf? War auch Ihr Vater ein Schläger, der nicht verzeihen konnte?«
»Reden Sie nicht über meine Familie«, sagte Silver. Zum ersten Mal entdeckte Lash einen deutlichen Anflug von Zorn in seiner Stimme.
»Können solche Menschen normal auf einen wirken?«, fragte Tara.
»Und ob! Sie können auf sehr hohem Niveau funktionieren.«
»Können Sie intelligent sein?«
Lash nickt. »Äußerst intelligent.«
»Erzählen Sie mir bloß nicht, Sie glauben diesen Kram«, sagte Silver zu Tara.
»Sind solche Menschen sich ihrer anderen Persönlichkeiten bewusst?«, fragte Tara.
»Normalerweise nicht. Sie bemerken freilich, dass ihnen Zeit verloren geht - es kann in einem Fugue-Zustand schon mal passieren, dass sie nicht wissen, wo der halbe Tag geblieben ist.
Das Ziel einer Behandlung besteht darin, dem Patienten seine anderen Persönlichkeiten bewusst zu machen.«
Irgendwo weit unter ihnen krachte etwas. Der Knall war zwar nicht sonderlich laut, doch der Laborboden bebte schwach.
Die drei wechselten einen kurzen Blick.
Für Lash bekam die Szenerie nun langsam etwas Surreales.
Jetzt stand er also hier herum und entwickelte irgendwelche Theorien, während Bewaffnete, die ihn erschießen wollten, jede Sekunde hereinstürzen konnten. Aber nun war er fast fertig; er konnte nichts anderes mehr tun, als zum Ende zu kommen.
»In solchen Fällen dominiert in der Regel eine Persönlichkeit«, fuhr Lash fort. »Oft ist es die normale, die >gute<. Die anderen Persönlichkeiten beherbergen die Gefühle, die für die dominante zu gefährlich sind.« Er deutete auf Silver.
»Deswegen ist Richard äußerlich das, was er zu sein scheint: ein genialer, wenn auch zurückgezogen lebender Computeringenieur. Der Mensch, der mir erzählt hat, er empfinde für seine Klienten fast etwas von der Verantwortung eines Chirurgen. Doch ich fürchte, dass es noch andere Richard Silvers gibt, die man uns nicht sehen lassen will. Der Richard Silver, der sowohl heillos bedroht als auch unwiderstehlich angezogen war von der
Weitere Kostenlose Bücher