Eden Inc.
seit der ersten Baustufe keinen Fuß mehr in Lizas Maschinenraum gesetzt. Nun verwünschte er sich für dieses Versäumnis. Im Nachhinein erwies sich sein Mangel an Wissen als ernsthafte Sicherheitslücke. Er überlegte, was er über die vier Etagen an Räumlichkeiten darüber hinaus noch wusste, und ihm wurde klar, dass es sehr wenig war.
Silver hatte alles eifersüchtig abgeschirmt, sogar vor ihm.
Mauchly kehrte an die Tür zurück, die ihm zuvor aufgefallen war. Einen Moment lang fürchtete er, Silver könnte sie von innen verschlossen haben. Doch der einfache Knauf drehte sich unter seinem Zugriff. Als die Tür aufglitt, gab es endlich wieder Licht. Zwar nicht das Licht von Lampen, sondern von einem riesigen Dickicht aus Dioden und LED-Anzeigen, die rot, grün und bernsteinfarben in der samtenen Finsternis blinkten und sich in endlose Ferne vor ihm ausbreiteten. Hier waren auch Geräusche zu hören: Nicht das gespenstisch anmutende Heulen des unter ihnen befindlichen hauseigenen Kraftwerks, es waren das beständige Summen von Ersatzgeneratoren sowie das leisere, maßvolle Schnurren elektromechanischer Gerätschaften.
Mauchly wies Dorfman an, auf Sheldrake zu warten, dann ging er in die Düsternis hinein.
56
Silver führte sie durch den Korridor zu einer Tür und öffnete sie mit einem einfachen altmodischen Schlüssel. Er dirigierte sie schroff in ein winziges Schlafzimmer, das makellos sauber war und ohne den geringsten Schnickschnack auskam. Das schmale Bett mit der dünnen Matratze und dem Metallgestänge ähnelte einer Militärpritsche. Daneben stand ein unlackierter Holztisch, auf dem eine Bibel lag. An der Decke hing eine einzelne nackte Glühbirne. Der Raum war so spartanisch eingerichtet und so durch und durch weiß, dass er problemlos als Mönchszelle durchgegangen wäre.
Silver zog die Tür hinter sich zu, dann ging er auf und ab.
Widerstreitende Emotionen verzerrten sein Gesicht. Einmal blieb er stehen, drehte sich zu Lash um und schien etwas sagen zu wollen, doch dann wandte er sich wieder ab.
Schließlich fuhr er herum.
»Sie sind im Irrtum«, sagte er.
Lash wartete ab.
»Ich hatte wunderbare Eltern. Sie haben mir alles gegeben. Sie waren geduldig. Sie haben alles getan, damit ich etwas lerne.
Ich denke jeden Tag an sie. An das Rasierwasser meines Vaters, wenn er mich umarmte, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. An den Gesang meiner Mutter, wenn sie am Klavier saß.«
Er wandte sich ab und nahm seinen Schritt wieder auf. Lash wusste, dass es besser war, jetzt nichts zu sagen.
»Mein Vater starb, als ich drei war. Es war ein Autounfall.
Meine Mutter hat zwei Jahre länger gelebt. Ich habe keine Geschwister. Also hat man mich zu einer Tante nach Madison, Wisconsin, geschickt. Sie hatte Familie, drei ältere Jungs.«
Silver wurde langsamer. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken, seine Knöchel traten weiß hervor.
»Ich war dort unerwünscht. Für die Jungs war ich ein hässlicher Schwächling. Sie haben mich verachtet. Sie haben mich nicht Rick genannt, sondern Arschgesicht. Meine Tante hat nichts dagegen unternommen, weil sie mich auch nicht haben wollte. Normalerweise wurde ich von Familienbräuchen - Sonntagsessen, Kinobesuche, Bowlingbahn - ausgeschlossen. Wenn ich doch mal dabei sein durfte, geschah dies nicht ohne Hintergedanken oder weil die Nachbarn meine Abwesenheit bemerkt hätten. Ich habe nachts oft geweint.
Manchmal habe ich gebetet, dass ich im Schlaf sterbe, damit ich nicht mehr aufzuwachen brauche.«
In Silvers Stimme schwang kein Selbstmitleid mit. Er stieß die Worte einfach nur nacheinander hervor, als läse er sie von einem Einkaufszettel ab.
»Die Jungs haben dafür gesorgt, dass ich in der Schule wie ein Aussätziger behandelt wurde. Sie hatten großen Spaß daran, die Mädchen mit >Silvers Sackratten< zu bedrohen, und haben sich über ihren Ekel schiefgelacht.«
Silver hielt inne. Er schaute Lash erneut an.
»Ihr Vater war nicht ganz so übel. Er war Operator in der Datenverarbeitung der Universität und arbeitete in der Nachtschicht. Manchmal bin ich mit ihm zur Arbeit gegangen, nur um meinem neuen Zuhause zu entfliehen. Rechner faszinierten mich immer mehr. Sie taten mir nämlich nicht weh; sie haben mich auch nicht verurteilt. Wenn ein Programm nicht lief, lag es nicht daran, dass ich mager oder hässlich war, sondern weil ich einen Fehler gemacht hatte.
Ich brauchte nur besser zu werden, dann lief das Ding.«
Silver sprach nun schneller.
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