Eden Inc.
Pool-Hauses sind gänzlich schwarze Rechtecke. Das Licht wirkt so hell, dass der ganze Raum auf die strenge Geometrie rechter Winkel reduziert ist: das Bett, der Nachttisch, die Frisierkommode. Das Licht saugt die Farbe aus dem Raum: aus dem Holzfurnier der Kommode, aus der Steppdecke. Die kaputten Spiegel haben die Farbe gebleichter Knochen. Nur eine Farbe ist noch übrig: das die Wände bedeckende Rot.
An dem Opfer ist kaum Blut; angesichts der Umstände sogar bemerkenswert wenig. Sie liegt nackt und allein wie eine Porzellanpuppe in einem Kreis von Scheinwerfern auf dem Teppich. Finger und Zehen, sorgfältig am ersten Glied abgetrennt, sind wie ein Heiligenschein um den Kopf der Toten verteilt.
Im Hintergrund murmeln Stimmen, das leise Gesäusel am Ort eines Verbrechens, an dem gearbeitet wird:
Die Analsonde misst 22 Grad. Der Tod ist vor ungefähr sechs Stunden eingetreten. Starre der Schätzung entsprechend.
»Habt ihr irgendwelche Latenten?«
»Wir haben nur Latenten.«
Die Alarmanlage ist mit einer Überwachungsfirma verbunden, aber die Leitung wurde am Fundament des Hauses durchtrennt. Wie bei dem Watkins-Mädchen.
»Wisst ihr, wo er rein und raus ist?«
»Die Truppe arbeitet dran.«
Captain Harold Masterton, groß und schwer gebaut, löst sich aus einer Gruppe von Polizisten aus Poughkeepsie und geht durch den Raum. Mit den Händen in der Tasche schreitet er vorsichtig um den Lichtkreis herum.
»Lash, Sie sehen aber nicht so doll aus.«
»Mir geht’s gut.«
»Wissen Sie schon was?«
»Ich schätze noch die Lage ein. Hier gibt es widersprüchliche Elemente; Dinge, die im Kontext nicht zusammenpassen.«
»Scheiß auf den Kontext. Sie haben doch in Quantico genug Leute, um eine Football-Mannschaft zu gründen.«
»Das Teilprofil haben Sie doch schon.«
»Das Teilprofil hat ihn nicht daran gehindert, ein zweites Mal zu töten.«
»Ich identifiziere diese Leute nur. Ich fange sie nicht. Das ist Ihr Job.«
»Dann geben Sie mir genug an die Hand, damit ich ihn finden kann, verdammt noch mal. Jetzt hat er seine ScheißAutobiografie schon zweimal geschrieben. Er hat zwei Frauen verbluten lassen, damit er die Tinte kriegt, die er braucht. Das ist seine Handschrift, genau vor unserer Nase. Er liefert sich Ihnen auf ’nem Scheiß-Silberteller aus.
Wann also reichen Sie ihn mir rüber? Oder muss er es zum dritten Mal schreiben?«
Und Masterton deutet auf die mit sauber geschriebenen Blockbuchstaben bedeckte Wand. Die Buchstaben sind blutrot und gerade erst getrocknet. Eine endlose Litanei verzweifelter Worte: FANGT MICH. LASST NICHT ZU, DASS ICH SIE ZERSCHNEIDE. ICH TU ES NICHT GERN. DIE HEILIGEN SAGEN, ICH SOLL SIE ZERSCHNEIDEN, ABER ICH MÖCHTE NICHT GLAUBEN...
Lash stieg aus dem Bett, ging zur Tür, öffnete sie und trat ins Wohnzimmer. Die Vorhänge des Galeriefensters waren weit aufgezogen. Hinter der Scheibe tauchte das Mondlicht die schaumigen Brecher in blassblaue Phosphoreszenz. Die Möbel waren wie vom Zwielicht eines Magritte-Gemäldes beleuchtet. Lash setzte sich auf das Ledersofa und beugte sich vor. Die Arme ruhten auf seinen Knien, sein Blick war aufs Meer gerichtet.
Zuvor, als Vogel ihn durch eine Reihe nichts sagender Gänge und eine Seitentür auf die 55th Street hinausgeführt hatte, war er innerlich wütend gewesen. Er war in einen roten Nebel gehüllt zum Parkhaus gegangen. Das Leitgel auf seiner Kopfhaut war noch nicht getrocknet. Die Abgangsbroschüre, die Vogel ihm entschuldigend in die Hand gedrückt hatte, hatte er weggeworfen. Doch im weiteren Verlauf des Abends - Lash hatte eine leichte Mahlzeit zu sich genommen, den Anrufbeantworter abgehört und mit dem Psychologen Kline konferiert, der ihn in seiner Praxis vertrat - war die Wut gewichen und hatte einer Leere Platz gemacht. Als er das Schlafengehen nicht mehr hatte aufschieben können, war die Leere wiederum etwas anderem gewichen.
Und als er nun dasaß und aufs Meer hinausstarrte, fielen ihm Dr. Alictos Worte wieder ein. Sie haben viel Schreckliches gesehen. Aber es hat Sie nicht berührt. Es hatte weder Auswirkungen auf Ihre Arbeit noch auf Sie selbst.
Lash schloss die Augen. Er konnte das anhaltende Gefühl des Unglaubens nicht loswerden. Als er heute Morgen zur Eden gefahren war, hatte er sich auf vielerlei eingestellt.
Doch mit einem hatte er nicht gerechnet - mit Zurückweisung. Na schön, er hatte es einfach nur als Übung betrachtet: den monochromatischen Vogel, den ärgerlichen, leicht alarmierenden
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