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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Flußbett, die Feuchtigkeit tröpfelt auf die Knochen herab. Kommen Sie, wir wollen zurückgehen, ehe es zu spät ist. Ihr Husten –«
    »Es ist nichts«, meinte er. »Gehen wir. Aber zuerst noch einen Schluck von dem Medoc.«
    Ich brach eine Flasche De Grâve auf und reichte sie ihm hin. Er leerte sie in einem Zug. Seine Augen flackerten wie Feuer. Er lachte und warf die Flasche mit einer Bewegung in die Höhe, die ich nicht verstand.
    Ich sah ihn verwundert an, er wiederholte die seltsame Bewegung.
    »Sie verstehen das nicht?« fragte er.
    »Nein«, antwortete ich.
    »Dann gehören Sie nicht zur Bruderschaft.«
    »Was meinen Sie?«
    »Sie sind kein Maurer.«
    »O doch«, sagte ich.
    »Sie? Unmöglich! Ein Freimaurer?«
    »Ich bin ein Maurer«, antwortete ich.
    »Geben Sie mir ein Kennzeichen«, sagte er.
    »Dies ist eins«, antwortete ich und zog unter den Falten meines Rockes eine Maurerkelle hervor.
    »Sie scherzen«, rief er, indem er ein paar Schritte zurückwich.
    »Aber wir wollen nach dem Amontillado gehen.«
    »Gut«, sagte ich, indem ich das Werkzeug unter dem Rock verbarg und ihm wieder meinen Arm anbot. Er hing sich schwer darauf, und wir setzten unseren Weg fort. Durch eine Flucht niedriger Kreuzgewölbe stiegen wir tiefer und dann wieder empor. Endlich ging es noch einmal hinab und wir gelangten in eine tiefe Krypta, in der die Luft so schlecht war, daß die Fackeln mehr glühten als flammten.
    Am äußersten Ende der Krypta erschien eine zweite, die weniger groß war. An den Wänden waren bis hoch an die Gewölbedecken menschliche Gebeine aufgeschichtet, ähnlich so, wie man es in den großen Katakomben von Paris sieht. Drei Seiten dieser inneren Krypta waren noch so verziert, von der vierten hatte man die Knochen herabgeworfen, und sie lagen wirr auf der Erde, wobei sie an einer Stelle einen ziemlichen Hügel bildeten. In der Wand, die so durch das Wegnehmen der Knochen freigelegt war, sahen wir noch eine tiefere Krypta oder eine Nische, die vier Fuß tief, drei Fuß breit und sechs oder sieben Fuß hoch war. Sie schien zu keinem besonderen Zweck angelegt zu sein, sondern nur den Zwischenraum zwischen zwei riesigen Pfeilern zu bilden, die die Wölbung der Katakomben trugen. Nach hinten schloß sie eine Wand von festem Granit ab.
    Vergeblich versuchte Fortunato, indem er seine glimmende Fackel hochhob, in die Tiefe der Nische hineinzuspähen. Das schwache Licht gab keine Möglichkeit dazu.
    »Gehen Sie vor«, sagte ich, »hier drinnen liegt der Amontillado. Was Luchresi angeht –«
    »Er ist ein Ignorant«, unterbrach mich mein Freund und schritt unsicher weiter, während ich ihm auf den Hacken folgte. In einem Augenblick hatte er das Ende der Nische erreicht, und da sein Weitergehen durch die Felswand verhindert wurde, blieb er in blöder Verwirrung stehen. Einen Moment später hatte ich ihn aber schon an den Granit gefesselt. Zwei eiserne Krampen waren nämlich darauf angebracht, die in horizontaler Lage ungefähr zwei Fuß voneinander entfernt waren. An dem einen hing eine kurze Kette, am andern ein Vorhängeschloß. Indem ich die Kette um seine Taille zog, war es nur eine Arbeit von wenigen Sekunden, sie festzumachen. Er war viel zu erstaunt, um Widerstand zu leisten: Ich zog den Schlüssel ab und trat aus der Nische zurück.
    »Befühlen Sie die Wand«, sagte ich. »Überall finden Sie Salpeter. Es ist wirklich hier sehr feucht, und ich möchte Sie noch einmal anflehen, nun umzukehren. Sie wollen nicht? Dann bin ich wahrhaftig gezwungen, Sie allein zu lassen. Ich will Ihnen aber zuerst noch alle kleinen Aufmerksamkeiten erweisen, die in meiner Macht sind.«
    »Der Amontillado«, rief mein Freund, der sich noch nicht von seiner Verblüffung erholt hatte.
    »Gewiß«, antwortete ich, »der Amontillado.«
    Mit diesen Worten ging ich an den vorhin erwähnten Knochenhügel, schob ihn zur Seite, worauf ein Haufen von Bausteinen und Mörtel frei wurde. Mit diesem Material und meiner Maurerkelle begann ich eifrig, eine Mauer vor dem Eingang zur Nische zu errichten.
    Ich hatte kaum die erste Steinreihe gelegt, als ich entdeckte, daß die Trunkenheit Fortunatos in hohem Maße geschwunden war. Das erste Anzeichen davon war ein tiefes, klagendes Stöhnen aus dem Hintergrund der Nische. Das war nicht das Stöhnen eines Betrunkenen. Dann folgte ein langes und hartnäckiges Schweigen. Ich legte die zweite Reihe, die dritte und die vierte, und dann hörte ich ein wütendes Zerren an der Kette. Das Geräusch

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