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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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dauerte mehrere Minuten, und ich hörte inzwischen mit der Arbeit auf und setzte mich auf die Knochen, um ihm besser lauschen zu können. Als das Klirren schließlich ein Ende nahm, griff ich wieder zu meiner Kelle und beendete ohne Unterbrechung die fünfte, sechste und siebente Reihe Steine. Die Mauer reichte mir jetzt ungefähr bis zur Brusthöhe. Ich machte eine Pause, hielt die Fackel über das Mauerwerk und ließ ein paar Strahlen auf die Figur da drinnen fallen.
    Eine Folge von lauten und schrillen Schreien, die plötzlich aus der Kehle des Angeketteten kamen, warfen mich heftig zurück. Einen Augenblick zitterte und schwankte ich. Ich zog meinen Degen aus der Scheide und begann damit nach der Nische zu tasten. Doch ein kurzes Überlegen beruhigte mich. Meine Hand griff nach dem festen Aufbau der Katakomben, und ich fühlte mich sicher. Ich näherte mich wieder der Mauer, ich begann auf das gellende Geschrei zu antworten. Ich erwiderte es, begleitete es, ich übertraf es an Stärke. Ich tat das so lange, bis der andere still wurde.
    Es war jetzt Mitternacht, und mein Unternehmen näherte sich seinem Ende. Ich hatte die achte, neunte und zehnte Lage beendet. Auch die elfte und letzte war beinahe fertig, nur noch ein Stein mußte hineingesetzt und mit Mörtel beklebt werden. Sein Gewicht war schwer und ich legte ihn halb in seine richtige Lage. Aber jetzt drang aus der Nische ein lautes Lachen, so daß mir die Haare zu Berge standen. Dann tönte eine klagende Stimme, die ich nur schwer als die des vornehmen Fortunato erkennen konnte.
    »Ha, ha, ha! – he, he, he!« klang die Stimme. »Ein wirklich guter Spaß, ein ausgezeichneter Witz! Wir werden lange darüber zu lachen haben in dem Palazzo – he, he, he! – und über unsern Wein – he, he, he!«
    »Über den Amontillado!« sagte ich.
    »He, he, he! He, he, he! – jawohl, den Amontillado. Aber wird es nicht langsam spät? Werden sie nicht auf uns warten im Palazzo, die Dame Fortunato und die andern? Wir wollen gehen.«
    »Ja«, sagte ich, »wir wollen gehen.«
    »Um der Liebe Gottes willen, Montresor!«
    »Ja«, rief ich, »um der Liebe Gottes willen!« Aber nach diesen Worten wartete ich vergebens auf Antwort. Ich wurde ungeduldig, ich rief laut.
    »Fortunato!« Keine Antwort. Ich rief wieder.
    Noch immer keine Antwort. Ich stieß eine Fackel durch die kleine Öffnung und ließ sich hineinfallen. Als Entgegnung folgte nur ein Klingeln der Glöckchen. Mein Herz war beklommen, es kam durch die feuchte Luft in den Katakomben. Schleunigst beendete ich meine Arbeit. Ich stieß den letzten Stein in die Öffnung und bestrich die Fugen mit Mörtel. Gegen die Mauer schichtete ich dann die alte Schicht von Knochen auf, und seit einem halben Jahrhundert hat sie kein Sterblicher gestört.

Die Rache des Zwerges

    Es gab wohl kaum einen Menschen, der so sehr einen lustigen Spaß liebte wie der König. Er ging förmlich darin auf, und wer ihm einen guten Witz recht übermütig zu erzählen wußte, der war sicher, seine Gunst zu gewinnen. Daher kam es auch, daß seine sieben Minister alle ausgezeichnete Spaßmacher waren. Aber nicht nur in ihrer Vorliebe für lustige Scherze glichen sie dem König, sondern auch in ihrer schweren, fettigen Wohlbeleibtheit. Ob nun die Menschen dick werden durch das Lachen, oder ob die Dicken eine natürliche Veranlagung zur Lustigkeit haben, jedenfalls ist ein magerer Spaßvogel eine seltene Sache.
    Aus feineren, geistvollen Witzen machte sich der König aber gar nichts. Er hatte eine Vorliebe für das Derbe, und eher ließ er sich eine allzulange als eine spitzfindige Geschichte erzählen, denn alles Feine ermüdete ihn. Er würde Rabelais Gargantua dem Zadig Voltaires entschieden vorgezogen haben, wie überhaupt ein toller Streich, den er mitansehen konnte, seinem Geschmack mehr behagte als eine nur erzählte Geschichte.
    Zu der Zeit, in der diese Erzählung spielt, gab es an den Höfen noch berufsmäßige Spaßmacher. Gerade die größeren Potentaten legten noch Wert darauf, einen Hofnarren zu halten, der in einem buntscheckigen Gewand und mit einer Schellenkappe herumlief und als Entgelt für die Brosamen, die von der Königs Tisch fielen, zu jeder Zeit und auf den leisesten Wink mit scharfen Witzen aufwarten mußte.
    Unser König hatte natürlich auch seinen Hofnarren. Er brauchte, wie er sagte, etwas Verrücktes – schon als Gegengewicht gegen die tiefe Weisheit seiner sieben klugen Minister – um von seiner eigenen Weisheit gar

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