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Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk

Titel: Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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gleichem Abstand über den acht Verkleideten, und fuhr fort, als sei nichts geschehen, seine Fackel nach ihnen hinabzustrecken, als wollte er auch jetzt noch herausfinden, wer sie wären.
    Die Festgesellschaft war über das plötzliche Emporschweben so grenzenlos erstaunt, daß eine Minute lang ein tiefes Schweigen folgte. Dieses wurde durch denselben leisen, aber scharfen und knirschenden Ton unterbrochen, der vorher dem König inmitten seiner Minister so aufgefallen war, als er Trippetta den Wein ins Gesicht gegossen hatte. Aber diesmal war es nicht zweifelhaft, woher dieser Ton stammte. Er kam von dem Raubtiergebiß des Zwergen, der mit den Zähnen knirschte und mit schäumendem Mund und von wahnsinniger Wut entstellten Zügen in die aufwärts gerichteten Gesichter des Königs und seiner sieben Genossen starrte.
    »Aha«, rief endlich der rasende Hofnarr. »Aha! Jetzt sehe ich endlich, wer diese Leute sind!« Und wie wenn er jetzt den König noch genauer betrachten wollte, hielt er die Fackel an die Flachsschicht, die ihn rings umgab, und die sich sofort in eine hellodernde Flamme verwandelte. In weniger als einer halben Minute bildeten die acht Orang-Utans ein einziges Feuermeer, während die Menge, die sie von unten betrachtete, entsetzt aufschrie, aber nicht imstande war, ihnen auch nur die geringste Hilfe zu leisten.
    Als die Flammen, deren Glut sich plötzlich verstärkte, den Hofnarren zwangen, an der Kette höher hinaufzuklettern, fiel die Menge von neuem in kurzes Schweigen. Diese Gelegenheit benutzte der Zwerg, um noch einmal zu sprechen.
    »Ich sehe jetzt deutlich«, sagte er, »welcher Art diese Maskierten sind. Es sind ein großer König und seine sieben geheimen Räte. Ein König, der sich nicht schämte, ein schutzloses Mädchen zu schlagen, und sieben Räte, die ihm dabei zujubelten. Ich aber bin nur Hoppfrosch, ein gewöhnlicher Hofnarr – und dies ist mein letzter Spaß.«
    Der Zwerg hatte kaum diese Worte gesprochen, als auch schon infolge der leichten Entzündbarkeit sowohl des Flachses wie des Teers das Werk seiner Rache vollendet war. Die acht Leichen hingen in ihren Ketten, eine schwärzliche, qualmende, widerliche und formlose Masse. Der Krüppel schleuderte seine Fackel auf sie hinab, kletterte gewandt zur Decke empor und verschwand durch das Lichtfenster.
    Wahrscheinlich hatte sich Trippetta inzwischen auf dem Dach des Festsaales aufgehalten und ihrem Freund bei seiner furchtbaren Rache geholfen. Die beiden mögen wohl zusammen in ihre Heimat entkommen sein, denn man hat nie wieder von ihnen gehört.

Der alte Mann mit dem Geierauge

    Gewiß, ich war immer nervös, ich war ganz schrecklich nervös und bin es noch – aber brauche ich deswegen wahnsinnig zu sein? Die Krankheit hatte meine Sinne geschärft, sie aber nicht zerstört noch abgestumpft. Vor allem besaß ich ein äußerst seines Gehör. Ich hörte alle Dinge im Himmel und auf der Erde und auch alles, was in der Hölle geschah. Bin ich darum wahnsinnig? Achten Sie bitte darauf, wie vernünftig, wie ruhig ich die ganze Geschichte erzähle.
    Es ist unmöglich zu sagen, wie diese Idee zum erstenmal in mir auftauchte, aber als ich sie einmal gefaßt halte, quälte sie mich Tag und Nacht. Einen besonderen Grund hatte ich nicht. Haß war nicht vorhanden. Im Gegenteil, ich liebte den alten Mann, und er hatte mir nie etwas Böses zugefügt, noch mich je beleidigt. Nach seinem Geld trug ich kein Verlangen. Ich glaube, es war wohl sein Auge! Ja, das war es! Er hatte das Auge eines Geiers – ein blaßblaues, verschwommenes Auge. Wenn er mich damit ansah, überlief es mich kalt, und so faßte ich langsam – sehr langsam – den Entschluß, ihn ums Leben zu bringen, um mich auf diese Weise von seinem Auge zu befreien. So liegt die Sache. Sie halten mich für wahnsinnig, aber Wahnsinnige haben keinen Verstand. Und Sie hätten mich sehen sollen. Sie hätten beobachten sollen, wie klug ich vorging, mit welcher Umsicht – mit welcher Vorausberechnung und Verstellung ich zu Werke ging! Nie bin ich gegen den alten Mann so freundlich gewesen wie in der Woche, bevor ich ihn tötete. Und jede Nacht gegen zwölf Uhr drückte ich ganz leise auf die Klinke seiner Stubentüre und öffnete sie. Und wenn ich sie gerade so weit geöffnet hatte, daß mein Kopf hindurch konnte, schob ich eine Blendlaterne hinein, die so dicht geschlossen war, baß auch nicht ein Lichtstrahl herausdrang, und steckte dann erst meinen Kopf hinein. O, Sie würden gelacht haben,

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