Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)
der Stadt hindurch«, erklärte Algernon. »Hier unten gibt es keine Kutschen oder Omnibusse, auf die du aufpassen musst. Der Verkehr ist über uns. Du musst nur darauf achten, dass du nicht ins Wasser fällst. Manche Stellen sind glitschig.«
Edgar konnte gut im Dunkeln sehen wie die meisten Katzen, und so fand er sich ohne Schwierigkeiten in der Finsternis zurecht. Sie liefen durch einen Tunnel, in dessen Mitte Wasser floss. Manchmal kam neues Wasser hinzu, das durch Röhren sprudelte, die aus der gemauerten Wand ragten. Es stank, und je tiefer sie in das Tunnelsystem eindrangen, desto bestialischer wurde der Geruch.
Edgar blieb stehen, weil er niesen musste. Seine Nase war durch den Ammoniakgeruch und den Duft nach Verfaultem gereizt.
»Quell…Quellwasser ist das aber nicht, oder, Algernon?«
Algernon lachte dröhnend. »Manchmal bist du schon ein Dummkopf, Ed. Das sind alles Abwässer, die aus den Häusern kommen. Ein Schluck genügt, und du hast vier Wochen lang Bauchweh und Dünnpfiff!«
»Ich habe nicht vor, dieses Wasser zu trinken«, entgegnete Edgar angewidert.
Sie setzten ihren Weg fort. Manchmal hörten sie leises Gequieke, und ab und zu huschten Schatten an den Mauern entlang.
»Hier gibt’s haufenweise Ratten«, sagte Algernon. »Sie leben von den Abfällen, die sie im Wasser finden. Ratten können übrigens ausgezeichnet schwimmen, wusstest du das?«
»Nein«, murmelte Edgar und hielt sich dicht hinter Algernon. Das Tunnelsystem machte großen Eindruck auf ihn und flößte ihm auch Furcht ein. Allein würde er sich hoffnungslos verlaufen! Aber wenigstens gab es hier unten keine ratternden Kutschen mit gefährlichen Rädern, und auch vor Pferdehufen musste man sich nicht in Acht nehmen.
Das Rauschen und Plätschern des Wassers machte ihn allerdings ganz verrückt. Es kam von links, von rechts, von unten und manchmal auch von oben. Ob das Wasser ihn irgendwann ganz einschließen würde, sodass es keinen Ausweg mehr gab? Edgar versuchte, den Gedanken zu verdrängen, bevor er einen Panikanfall bekam.
Algernon dagegen ließ sich durch die Geräusche nicht aus der Ruhe bringen. Er zögerte an keiner Kreuzung. Ganz genau schien er den Weg zu kennen. Ab und zu jagte er hinter einer Ratte her. Einmal erwischte er ein junges Ding, das vor Todesangst quietschte und ihn mit aufgerissenen Augen ansah. Edgar wollte schon den Kopf abwenden, um nicht mit ansehen zu müssen, wie Algernon die junge Ratte mit einem Genickbiss tötete. Aber Algernon schüttelte die Beute nur ein wenig und ließ sie dann wieder laufen.
»Ist ja noch nichts dran an dir. Werde erst mal groß und stark!«
Die Ratte blieb einen Moment lang starr sitzen. »Iss sssterbe nisst?«, fragte sie ungläubig mit leiser Piepsstimme.
»Fort mit dir, bevor ich es mir anders überlege«, brummte Algernon.
»Danke«, zischte die Ratte und flitzte blitzschnell davon.
Edgar sah Algernon erstaunt an. Der zuckte nur mit der Schulterpartie und lief weiter. Schließlich krochen sie durch eine lange, schmale Röhre, die zum Glück trocken war, kletterten an einer Mauer hoch und fanden sich in der Nähe des Parks wieder, in der sie in der Nacht zuvor gewesen waren.
»Du bist genial, Algernon!«, rief Edgar überrascht. »Wahnsinn! Du kennst dich wirklich aus!«
»Selbst wenn ich keine Straßennamen weiß«, sagte Algernon. Er freute sich über Edgars Lob und strich sich stolz über die Schnurrhaare.
»Könnte sich der schwarze Panther nicht auch in den Abwassertunneln verstecken?«, überlegte Edgar laut, während sie auf den Park zuliefen. »Platz ist dort ja genug.«
»Gut möglich«, antwortete Algernon. »Obwohl ich mir eher vorstellen kann, dass der Panther eine luxuriöse Umgebung bevorzugt, anstatt sich in dreckigen Tunneln herumzutreiben. Marmorboden, ein Lederpolster mit Kissen, ein warmes Kaminfeuer und ein gut gefüllter Fressnapf mit frischem Fleisch – das passt eher zu so einer Raubkatze, die sich für was Besseres hält.«
»Du meinst, er lebt in einer Villa?«
»Das kann gut sein.«
»Oh, wie sollen wir ihn nur finden!« Edgar seufzte, dann sprang er mit Algernon über eine kleine Mauer und durchquerte den Park.
Während sich die Dunkelheit über den Park senkte und vom Boden leichter Nebel aufstieg, erwachte Leyla, die auf einem Bücherregal geschlafen hatte. Sie streckte sich und gähnte. Allmählich bekam sie Hunger, und ihre innere Uhr sagte ihr, dass es für Mister Carrington langsam an der Zeit war, das
Weitere Kostenlose Bücher