Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)
gespreizten Fingern hindurch. Dann nahm sie die Hände vom Gesicht. Ihre Miene hatte sich verändert, sie war jetzt voller Mitgefühl.
»Du arme Mieze«, sagte sie zu Leyla. »Dich kenne ich ja noch gar nicht! – Und da ist ja auch mein kleiner Schwarzer!« Damit war Edgar gemeint.
»Verflixt, Eleanor, Sie sollen nicht mit den Tieren reden, sondern sie wieder einfangen!«, tobte Professor Murphy. »Und sammeln Sie das Zeug auf dem Boden wieder auf, aber dalli! Ich bin gerade auf eine Spritze getreten!«
Eleanor bückte sich, scheinbar gehorsam. Leyla und Edgar rührten sich nicht vom Fleck und beobachteten sie genau. Jetzt entdeckte Eleanor die verängstigte Sue, die sich an die Wand drückte.
»Oh, du erbarmenswertes Geschöpf!« Sie seufzte tief. Dann erwischte sie eine Spritze.
Edgar fühlte, wie sich sein Fell sträubte.
Auch Leyla war in Alarmbereitschaft.
»Wird’s bald?«, rief der Professor und tastete immer noch halb blind in der Gegend herum. »Was machen Sie eigentlich die ganze Zeit, Eleanor?«
Mit grimmigem Gesichtsausdruck erhob sich Eleanor, die Spritze fest in der Hand.
Edgar wich unwillkürlich zurück, Leyla ebenso.
Doch Eleanor hatte es nicht auf die Katzen abgesehen. Entschlossen rammte sie die Spritze durch die Hose hindurch in den Oberschenkel des Professors.
»Au! Was war das? Sind Sie wahnsinnig geworden?«, explodierte Murphy. Er fasste sich an den Schenkel, ertastete die Spritze, die noch steckte, und zog sie fluchend heraus. Dann wurden seine Bewegungen langsamer. Er fing an zu taumeln und sank schließlich in sich zusammen.
Eleanor stand leicht benommen daneben. Sie schien selbst nicht fassen zu können, was sie gerade getan hatte. Ihr Blick fiel wieder auf die Katzen.
»Arme Kreaturen, ihr habt wirklich genug gelitten!«, murmelte sie sanft. »Ich konnte es schon lange nicht mehr mit ansehen. Ab heute seid ihr frei!«
Sie bückte sich noch einmal und zog aus der Kitteltasche des bewusstlosen Professors einen Schlüsselbund. Etwas schwerfällig stieg sie die Treppe hinauf, sperrte die Tür auf und öffnete sie weit.
»Hopp, hopp!«, rief sie. »In die Freiheit mit euch!«
Edgar und Leyla reagierten sofort. Sue brauchte wieder einen Anstupser, was diesmal von Leyla übernommen wurde. Algernon sprang aus der Röhre auf den Boden, setzte verächtlich über den zusammengesunkenen Professor hinweg und stürmte nach draußen. Kühle Nachtluft empfing die vier Katzen.
Edgar atmete tief ein. Es roch nach Erde und Gras. Ein Glücksgefühl breitete sich in ihm aus.
Während der schwarze Kater seine wiedergefundene Freiheit genoss und Sue verwundert die Gegend betrachtete, war Eleanor sehr aktiv.
Sie öffnete alle Käfigtüren, um auch die restlichen Tiere freizulassen, und fühlte sich immer besser dabei. Das hatte sie schon lange tun wollen! In der letzten Zeit war die Arbeit bei Professor Murphy immer unerträglicher geworden. Eleanor hatte häufig mit dem Gedanken gespielt, ihre Arbeit niederzulegen und zu ihren Verwandten aufs Land zu fahren. Sie wollte nicht mehr mit ansehen, wie die Tiere gequält wurden und leiden mussten. Nach der morgendlichen Runde, wenn sie die Tiere aus den Käfigen nehmen musste und der Professor ihnen eine neue Spritze gab, war ihr regelmäßig übel.
Jetzt waren einige Tiere ausgebrochen, und das war für Eleanor der Anstoß, ihren Plan endlich in die Tat umzusetzen. Sie hatte genug gespart, um die Reise aufs Land zu bezahlen.
»Los, husch-husch!«, lockte sie eine junge Katze, die ihren offenen Käfig nicht verlassen wollte. »Komm, Süße, du bist frei! Begreifst du das nicht?«
Das Tier maunzte. Eleanor griff in den Käfig und holte es heraus. Zärtlich kraulte sie die Katze zwischen den Ohren. Sie war noch so klein, so hilflos.
»Weißt du was? Ich nehme dich mit. Bei uns wirst du es gut haben.«
Zuletzt entschied sich Eleanor sogar für drei Katzen, die zu schwach waren, um allein zurechtzukommen. Sie hob ihr Nachthemd ein Stück an und setzte die Katzen hinein. Dann eilte sie mit ihnen die Treppe hinauf, während hinter ihr die frei gelassenen Tiere durch den Keller stürmten und schließlich die weit geöffnete Haustür fanden.
In ihrem Zimmer angekommen, packte Eleanor in aller Eile ihre Sachen. Sie musste damit fertig sein, bevor die Wirkung der Betäubungsspritze nachließ und der Professor wieder zu sich kam. Er würde vor Zorn toben, wenn er feststellte, was sie getan hatte! Eleanor konnte es ja selbst nicht glauben, dass
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