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Edith Wharton

Edith Wharton

Titel: Edith Wharton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommer
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zwischen den Gängen rauchte und Charity einen
hellen gelben Wein einschenkte, der, wie er sagte, genau der sei, den man in
Frankreich in genau solch lustigen Lokalen trank.
    Charity fand den Wein nicht so gut
wie Sarsaparilla, doch sie nippte daran, weil es ihr Vergnügen bereitete, zu
tun, was er tat, und weil sie sich vorstellte, sie sei allein mit ihm in einem
fremden Land. Die Illusion wurde dadurch verstärkt, daß sie von einer
vollbusigen Frau mit glattem Haar und einem angenehmen Lachen bedient wurden,
die Harney mit unverständlichen Worten anredete und verblüfft und hocherfreut
schien, als er ihr ebenso antwortete. Auch an den anderen Tischen saßen Leute,
Mühlenarbeiter wahrscheinlich, die einfach, aber angenehm wirkten, in
demselben schrillen Kauderwelsch redeten und Harney und Charity mit
freundlichen Blicken betrachteten; und zwischen den Tischbeinen schnüffelte ein
Pudel mit kahlen Stellen und rosaroten Augen nach Abfällen oder stellte sich komisch
auf die Hinterbeine.
    Harney zeigte keine Neigung
aufzustehen, denn so heiß ihre Ecke auch war, sie war wenigstens schattig und
ruhig; und von den Hauptstraßen drang das Geschepper der Straßenbahnen, das
unaufhörliche Krachen von Knallerbsen, das Gedudel von Leierkästen, das Gebrüll von Megaphonen und das
laute Summen von immer größer werdenden Menschenmassen herüber. Er lehnte sich
zurück, zog an seiner Zigarre, tätschelte den Hund und rührte in dem Kaffee,
der in den angeschlagenen Tassen dampfte. »So muß er sein«, erklärte er, und
Charity revidierte eilends ihre frühere Auffassung von dem Gebräu.
    Für den Rest des Tages hatten sie
keine Pläne gemacht, und als Harney sie fragte, was sie als nächstes tun
wolle, war sie durch die vielfältigen Möglichkeiten zu verwirrt, um eine
Antwort zu finden. Schließlich gestand sie, daß sie gern zum See gehen würde,
den sie bei ihrem früheren Besuch nicht gesehen hatte, und als er antwortete:
»Oh, dafür bleibt noch Zeit – später ist es angenehmer«, schlug sie vor, sie
könnten sich Bilder ansehen wie die, zu denen Mr. Miles sie geführt hatte.
Harney, so kam ihr vor, sah etwas verwirrt drein; doch er fuhr sich mit einem
feinen Taschentuch über die heiße Stirn, sagte fröhlich: »Gut, also gehen wir«,
und erhob sich mit einem letzten kleinen Klaps für den Hund mit den rosa Augen.
    Mr. Miles' Bilder waren in einem
nüchternen YMCA-Saal mit weißgetünchten Wänden und einer Orgel vorgeführt
worden; Harney jedoch führte sie in ein glitzerndes Haus – alles, was sie sah,
schien zu glitzern –, wo sie zwischen riesigen Bildern hindurchgingen, die
blonde Schönheiten zeigten, die Schurken in Abendanzügen erdolchten, und in
einen Zuschauerraum mit Samtvorhängen gelangten, der bis auf den letzten Platz
besetzt war. Danach verschmolz für eine Weile alles in ihrem Kopf zu schwimmenden
Kreisen aus Hitze und blendenden Wechseln von Hell und Dunkel. Alles, was die
Welt zu bieten hatte, schien an ihr vorüberzuziehen in einem Durcheinander aus
Palmen und Minaretten, angreifenden Kavallerieregimentern, brüllenden Löwen,
drolligen Polizisten und finster blickenden Mördern; und die Menge um sie
herum, die Hunderte von erhitzten, fahlen, Bonbons kauenden Gesichtern, jung,
alt, mittelalt, doch alle von der gleichen ansteckenden Erregung erfaßt, wurden
ein Teil des Spektakels und tanzten mit allem übrigen auf der Leinwand.
    Schließlich wurde der Gedanke an
eine kühle Straßenbahnfahrt zum See unwiderstehlich, und sie drängten sich
aus dem Theater. Als sie auf dem Bürgersteig standen, Harney blaß von der Hitze
und selbst Charity durch sie ein wenig aus der Fassung gebracht, fuhr ein
junger Mann in einem elektrischen Gefährt vorbei, an dem ein Stofftransparent
die Worte trug: »Rundfahrt um den See: zehn Dollar.« Ehe Charity wußte, was geschah,
hatte Harney gewinkt, und sie stiegen ein. »Für fünfundzwanzig fahr' ich Sie
raus zum Baseballspiel und wieder zurück«, schlug der Fahrer mit einschmeichelndem
Grinsen vor, doch Charity antwortete rasch: »Oh, ich würde lieber auf dem See
rudern.« Die Straße war so voller Menschen, daß sie nur langsam vorankamen;
aber das Hochgefühl, in dem kleinen Wagen zu sitzen, während er sich an
vollgestopften Pferdebussen und Straßenbahnen vorbeischlängelte, ließ die Zeit
viel zu kurz erscheinen. »Nächste Abzweigung Lake Avenue«, rief der junge Mann über die Schulter;
und als sie hinter einem großen Omnibus kurz anhielten, der unter

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