Edith Wharton
an
seinem Arm und im Gewühl einer festlichen Menge in ihren besten Kleidern. Diese
Aussicht wurde nur dadurch getrübt, daß die Läden geschlossen sein würden;
aber sie hoffte, er werde sie irgendwann noch einmal mitnehmen, wenn sie offen
hätten.
Sie brach im ersten Sonnenlicht
unbemerkt auf, denn sie huschte durch die Küche, als Verena sich gerade über
den Herd beugte. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, hatte Charity den neuen
Hut sorgfältig eingewickelt und einen langen grauen Schleier, der Mrs. Royall
gehört hatte, über das neue weiße Musselinkleid geworfen, das Allys geschickte
Finger für sie genäht hatten. Die zehn Dollar, die Mr. Royall ihr gegeben
hatte, und auch einen Teil ihrer Ersparnisse hatte sie für die Erneuerung
ihrer Garderobe ausgegeben; und als Harney aus dem Wagen sprang, um sie zu
begrüßen, las sie den Lohn dafür in seinem Blick.
Der sommersprossige Junge, der ihr
zwei Wochen zuvor den Zettel gebracht hatte, sollte bis zu ihrer Rückkehr mit
dem Einspänner in Hepburn warten. Er hockte zu Charitys Füßen und ließ seine
Beine zwischen den Rädern herunterbaumeln, und weil er dabei war, konnten sie
nicht viel miteinander sprechen. Aber das war nicht so wichtig, denn ihre
Vergangenheit war nun reich genug, um sie mit einer Geheimsprache zu versehen;
und angesichts des langen Tages, der sich vor ihnen ausdehnte wie die blaue
Weite jenseits der Hügel, lag in dem Aufschub eine köstliche, anregende Vorfreude.
Als Charity als Antwort auf Harneys
Botschaft zu der Verabredung am Crestonteich gegangen war, war ihr Herz so
voller Verdruß und Zorn gewesen, daß seine ersten Worte ihre Zuneigung zu ihm
hätten zerstören können. Aber es traf sich, daß er das richtige Wort fand, das
nur von schlichter Freundschaft sprach. Sein Ton hatte ihr sofort recht gegeben
und ihren Vormund ins Unrecht gesetzt. Harney hatte keine Anspielung auf das
gemacht, was zwischen Mr. Royall und ihm vorgefallen war, sondern hatte es
einfach so dargestellt, als sei er weggegangen, weil in North Dormer Fuhrwerke
schwierig aufzutreiben seien und weil Creston River günstiger liege. Er
erzählte ihr, er habe wochenweise den Einspänner vom Vater des sommersprossigen
Jungen gemietet, der als Stallmeister bei ein oder zwei melancholischen
Sommerpensionen am Crestonsee diene, und er habe, mit dem Wagen erreichbar,
etliche Häuser entdeckt, die zu zeichnen sich lohne; und er sagte, er könne,
solange er sich in der Nachbarschaft aufhalte, nicht auf das Vergnügen
verzichten, sie so oft wie möglich zu sehen.
Als sie sich voneinander
verabschiedeten, versprach sie, auch weiterhin seine Führerin zu sein; und in
den folgenden zwei Wochen durchstreiften sie die Hügel in fröhlicher
Kameradschaft. Bei den meisten Freundschaften zwischen Jungen und Mädchen im
Dorf wurde der Mangel an Gesprächsstoff durch zaghaftes Schmusen wettgemacht;
aber außer dem einen Mal, als Harney sie auf dem Heimweg von den Hyatts in
ihrem Kummer zu trösten versuchte, hatte er nie seinen Arm um sie gelegt oder
versucht, sie zu einer unvermittelten Liebkosung zu verführen. Es schien ihm zu
genügen, ihre Nähe wie die einer Blume einzuatmen; und da ihm die Freude über
das Zusammensein mit ihr und seine Empfänglichkeit für ihre Jugend und Anmut
beständig aus den Augen leuchteten und seiner Stimme einen weichen Klang
verliehen, zeugte seine Zurückhaltung nicht von Kälte, sondern von der Achtung,
wie sie einem Mädchen aus seiner Schicht zustand.
Der Einspänner wurde von einem alten
Traber gezogen, der sie so flott durch die Gegend wirbelte, daß von seinem
Schritt ein wenig Fahrtwind aufkam; aber als sie vor dem Bahnhof in Hepburn
ankamen, senkte sich die volle Hitze des stickigen Morgens auf sie herab. Auf
dem Bahnsteig drängte sich eine schweißgebadete Menge, und sie flüchteten sich
in den Wartesaal, wo es ebenfalls von Menschen wimmelte, die die Hitze und das
lange Warten auf verspätete Züge bereits entmutigt hatte. Blasse Mütter mühten
sich mit quengelnden Kindern ab oder versuchten, ihre älteren Sprößlinge von
dem verlockenden Schienenstrang fernzuhalten; Mäd chen kicherten und schubsten
sich mit ihren Burschen und reichten Bonbons in klebrigen Tüten herum, und
Männer, schwitzend und ohne Kragen, schoben sich schlaftrunkene Kinder von
einem Arm auf den anderen und hatten ein sorgenvolles Auge auf die verstreuten
Mitglieder ihrer Familie.
Endlich fuhr der Zug ratternd ein
und nahm die wartende Menge auf. Harney hob
Weitere Kostenlose Bücher