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Edith Wharton

Edith Wharton

Titel: Edith Wharton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sommer
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etwas zu essen holen.«
    »Aber wie kommen wir nachher
zurück?« fragte sie vorsichtig und mit dem Gefühl, es würde ihr das Herz brechen,
wenn sie das Schauspiel versäumte.
    Er sah in einem Fahrplan nach, fand
einen Zug, der um zehn Uhr fuhr, und beruhigte sie: »Der Mond geht so spät auf, daß es um acht Uhr
dunkel sein wird, so daß wir eine gute Stunde zuschauen können.«
    Die Dämmerung senkte sich herab, und
entlang dem Ufer zeigten sich die ersten Lichter. Die Straßenbahnen, die mit
Getöse aus Nettleton herbeigefahren kamen, wurden zu großen leuchtenden
Schlangen, die sich zwischen den Bäumen hinein und hinaus wanden. Die hölzernen
Gasthäuser am Seeufer tanzten im Licht der Laternen, und die Dämmerung hallte
wider von Gelächter und Rufen und dem Platschen ungeschickt eingetauchter
Ruder.
    Harney und Charity hatten einen
Tisch in der Ecke einer Seeterrasse gefunden und warteten geduldig auf ein
Fischgericht, das endlos lange nicht kam. Direkt unter ihnen plätscherte das
Wasser gegen die Pfeiler, aufgerührt durch den Wellenschlag eines kleinen weißen,
mit bunten Kugeln geschmückten Vergnügungsdampfers, der Gäste über den See
fuhr. Schon jetzt, als er zur ersten Fahrt ablegte, war das Deck schwarz von
Menschen.
    Plötzlich hörte Charity hinter sich
das Lachen einer Frau. Es klang vertraut, und sie wandte sich um. Eine Gruppe
auffällig gekleideter Mädchen und eleganter junger Männer mit Abzeichen von
Geheimgesellschaften am Revers und neuen Strohhüten, die sie auf dem kurz
geschorenen Haar weit in den Nacken geschoben hatten, waren auf die Terrasse
eingefallen und verlangten lärmend nach einem Tisch. Es war das Mädchen an der
Spitze der Gruppe, das gelacht hatte. Sie trug einen großen Hut mit einer
langen weißen Feder, und unter seinem Rand hervor blickte sie Charity aus ihren
schwarz umrandeten Augen mit belustigtem Wiedererkennen an.
    »Sag bloß, wenn das nicht wie ein
Heimattreffen ist!« bemerkte sie zu dem Mädchen neben sich, und Gekicher und
Blicke gingen hin und her. Charity wußte sofort, daß das Mädchen mit der
weißen Feder Julia Hawes war. Sie hatte ihr blühendes Aussehen verloren, und
die Schminke unter den Augen ließ das Gesicht schmaler erscheinen; aber ihre
Lippen hatten immer noch denselben schönen Schwung und dasselbe spöttische
Lächeln, als habe die Person, auf die sie ihren Blick richtete, insgeheim etwas
Lächerliches an sich, das ihr sofort aufgefallen war.
    Charity errötete bis in die
Haarwurzeln und sah weg. Sie fühlte sich durch Julias höhnische Bemerkung gedemütigt
und ärgerte sich darüber, daß der Spott einer solchen Person ihr etwas anhaben
konnte. Sie fürchtete, Harney könnte bemerken, daß die lärmende Schar sie erkannt
hatte; aber sie fanden keinen freien Tisch und zogen geräuschvoll weiter.
    Auf einmal hörte man ein leises
Brausen in der Luft, und ein silbriger Schauer ging aus dem blauen Abendhimmel
nieder. An einer anderen Stelle schossen einzelne blasse Leuchtkugeln zwischen
den Bäumen empor, und eine Rakete mit Feuerschweif strich wie die Ankündigung
eines Wunders am Horizont entlang. Zwischen diesen in Abständen aufleuchtenden
Blitzen senkte sich der samtene Vorhang der Dunkelheit herab, und in den
Pausen, wenn es wieder finster war, sanken die lauten Stimmen der Menge zu
gedämpftem Gemurmel herab.
    Schließlich mußten Charity und
Harney, durch Neuankömmlinge vertrieben, ihren Tisch aufgeben und sich durch
das Gedränge an den Bootsstegen hindurchkämpfen. Eine Weile sah es so aus, als
könnten sie sich nicht vor der Flut der Nachdrängenden retten; aber schließlich
gelang es Harney, die letzten zwei Plätze auf der Tribüne zu erobern, von der
aus die Privilegierteren sich das Feuerwerk anschauen konnten. Die Plätze lagen
hintereinander jeweils am Ende einer Reihe. Charity hatte den Hut abgenommen,
um freie Sicht zu haben; und jedesmal, wenn sie sich zurücklehnte, um die Bahn
einer zerstiebenden Rakete zu verfolgen, konnte sie Harneys Knie an ihrem
Hinterkopf spüren.
    Nach einer Weile hörte dieses
Feuerwerk einzelner Raketen auf. Eine längere Pause, in der es dunkel blieb,
folgte, dann löste sich die ganze Nacht in Blüten auf. Von jedem Punkt des
Horizonts aus schossen goldene und silberne Bögen empor und kreuzten sich,
himmlische Obstgärten erblühten, warfen ihre flammenden Blütenblätter ab und
beluden ihre Zweige mit goldenen Früchten; und die ganze Zeit war die Luft von
einem leisen, übernatürlichen

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