Edith Wharton
wiesen mit vertraulichen, doch unschuldigen Gesten auf ihre
rosafarbenen Korsetts und durchsichtigen Strümpfe hin.
Plötzlich stellte Harney fest, daß
seine Uhr stehengeblieben war, und sie betraten einen kleinen Juwelierladen,
der zufällig noch offen war. Während die Uhr untersucht wurde, beugte sich Charity
über den Ladentisch aus Glas, in dem auf dunkelblauem Samt Anstecknadeln,
Ringe und Broschen wie Mond und Sterne glitzerten. Noch nie hatte sie Schmuck
aus solcher Nähe gesehen, und sie hätte gern den gläsernen Deckel gehoben und
die Hände in die glänzenden Kostbarkeiten getaucht. Doch schon war Harneys Uhr
repariert, und er legte die Hand auf Charitys Arm und weckte sie aus ihren
Träumen.
»Was gefällt Ihnen am besten?«
fragte er und beugte sich neben ihr über den Ladentisch.
»Ich weiß nicht ...« Sie zeigte auf
ein goldenes Maiglöckchen mit weißen Blüten.
»Finden Sie die blaue Nadel nicht
schöner?« meinte er, und sofort erkannte sie, daß das Maiglöckchen bloßer
Kitsch war im Vergleich zu dem kleinen runden Stein, blau wie ein Bergsee, mit
kleinen Lichtfünkchen rundherum. Sie errötete über ihr mangelndes Urteilsvermögen.
»Sie ist so schön, ich glaub', ich
hatte Angst, sie anzusehen«, sagte sie.
Er lachte, und sie verließen den
Laden; aber nach wenigen Schritten rief er: »Oh, beim Jupiter, ich habe etwas
vergessen«, kehrte um und ließ sie in der Menge stehen. Sie stand da und
starrte auf eine Reihe rosafarbener Grammophontrichter, bis er zurückkehrte
und seinen Arm unter ihren schob.
»Sie brauchen keine Angst mehr zu
haben, die blaue Nadel anzusehen, denn sie gehört jetzt Ihnen«, sagte er, und
sie fühlte wie er ihr eine kleine Schachtel in die Hand drückte. Ihr Herz
machte vor Freude einen Sprung, doch es erreichte ihre Lippen nur als schüchternes
Gestammel. Sie erinnerte sich an andere Mädchen, die sie hatte Pläne aushecken
hören, wie sie ihren Burschen Geschenke entlocken könnten, und wurde plötzlich
von Angst ergriffen, daß Harney glauben könnte, sie habe sich über die hübschen
Dinge in dem Glasbehältnis gebeugt in der Hoffnung, er werde ihr eines
schenken.
Ein kleines Stück weiter die Straße
hinunter, traten sie durch eine Glastür, die sich auf eine prächtige Halle mit
einer Mahagonitreppe und Messingkäfigen in den Ecken öffnete. »Wir müssen etwas
essen«, sagte Harney; und im nächsten Moment befand sich Charity in einer
Garderobe aus lauter Spiegeln und glänzenden Flächen, in der sich eine Gruppe
aufgetakelter Mädchen Puder auflegte und riesige federgeschmückte Hüte
geraderückte. Erst als die Mädchen gegangen waren, traute sie sich, ihr
erhitztes Gesicht in einem der Marmorbecken zu kühlen und auch ihre
Hutkrempe zurechtzubiegen, die die Sonnenschirme des Menschengewühls
eingedrückt hatten. Die Kleider in den Auslagen hatten sie so beeindruckt, daß
sie kaum wagte, sich im Spiegel zu betrachten; aber als sie es dann doch tat,
gaben ihr das rosige Leuchten ihres Gesichts unter dem kirschfarbenen
Hutfutter und die Rundung ihrer jungen Schultern, die unter dem durchsichtigen
Musselin zu ahnen war, neuen Mut, und als sie die blaue Brosche aus der
Schachtel genommen und sich an den Busen gesteckt hatte, ging sie mit hocherhobenem
Haupt in das Restaurant, als sei sie schon immer neben jungen Männern in
Flanellanzügen durch mosaikgeschmückte Säle flaniert.
Ihre Hochstimmung sank etwas beim Anblick
der engtaillierten Kellnerinnen in Schwarz mit den entzückenden Häubchen auf
den arroganten Köpfen, die herablassend zwischen den Tischen hin und her
gingen. »Frühestens in einer Stunde«, ließ eine von ihnen beiläufig fallen,
während sie an Harney vorbeiging; er blieb stehen und blickte zweifelnd um
sich.
»Na, wir können doch hier nicht vor
Hitze verschmachten«, stellte er fest; »versuchen wir's anders wo ...«, und
erleichtert folgte Charity ihm aus dieser Stätte ungastlicher Pracht.
Das »anderswo« war dann schließlich,
nachdem sie eine Weile in der Hitze herumgelaufen und mehrfach abgewiesen
worden waren, ausgerechnet ein kleines Gartenlokal in einer Seitenstraße, das
sich als französisches Restaurant ausgab und ein paar wacklige Tische umfaßte,
die unter einer Feuerbohnenpergola zwischen einem Beet mit Zinnien und Petunien
und einer großen Ulme standen, die sich vom Nachbarhof herüberneigte. Hier
verzehrten sie seltsam gewürzte Speisen, während Harney sich in einem wackligen
Schaukelstuhl zurücklehnte,
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