EduAction: Wir machen Schule (German Edition)
Lebenserfahrungen, die psychologisch und neurophysiologisch Motivation freisetzen, mehr davon zu bekommen. »Use it or loose it« – so lautet die Grundregel unseres Gehirns. Visionen, Ziele, innere Bilder sind ausschlaggebend dafür.
Herausforderungen gehören in die Schule: Das 21. Jahrhundert braucht eine Vielfalt von Talenten und Persönlichkeiten. Es braucht außergewöhnliche Individuen. Es ist daher wichtig, jungen Menschen so oft wie möglich die Gelegenheit zu geben, zu entdecken und zu experimentieren – ästhetisch, sportlich, wissenschaftlich, kulturell und sozial. Die Kinderrechtskonvention und die Schulgesetze der Länder fordern die größtmögliche Förderung aller Potenziale der Kinder und Jugend lichen – und gleichzeitig wissen wir, dass in der Schule mit ihrer traditionellen Unterrichtskultur nur etwa 30 Prozent des menschlichen Lernens stattfinden und ein Großteil der Potenziale nicht ausgeschöpft wird. Trotz vielfältiger wegweisender nationaler und internationaler Expertisen und Empfehlungen ist das informelle »Just-in-time-Lernen« bisher nicht wirklich in Schule integriert.
Kästchen in Arbeitsblättern auszufüllen ist nichts, was Menschen als besonders sinnhaft empfinden.
Um junge Menschen nicht als Schülerinnen und Schüler im tradierten Sinne zu sehen, sondern als engagierte junge Menschen mit Gestaltungsmut, die einen Schatz von Potenzialen mitbringen, dazu braucht es Mut. Wir müssen Möglichkeiten schaffen, in denen Kinder eigene Erfahrungen machen können, statt ihnen nur im Klassenzimmer Wissen einzutrichtern. Menschen lernen durch Begeisterung und wenn sie in ihrem Handeln einen Sinn erkennen. Wir müssen unseren Kindern etwas zutrauen und zumuten.
Das Projekt Herausforderung ist die wohl intensivste Aussage, wofür diese Schule steht und wofür Schule stehen sollte. Das sind Momente, die man bewahrt! Die Momente, die ich mir bewahrt habe, kamen nicht aus der Schule.
Frans Dikmans, Schülervater
Schule muss Kindern und Jugendlichen Räume bieten, um sich ausprobieren und eigene Grenzen austesten zu können, um Fähig keiten zu entdecken und vor allem auch Fehler machen zu dürfen. Die Hirnforschung bestärkt uns darin: »Selbstvertrauen und Zuversicht sind Fähigkeiten, die in den Menschen wachsen müssen – nicht von außen, sondern von innen«, sagte Gerald Hüther im Gespräch mit dem Kollegium der esb am 6. Mai 2011. »Jeder Mensch muss in sich selbst Mittel suchen, in die ihn umgebende Welt aufzubrechen. Nur so kann er die Erfahrung machen, Schritt für Schritt an neuen Herausforderungen zu wachsen.« Dabei baut sich sein Gehirn um. Die Hirnforscher nennen das experience dependent plasticity .
Wir brauchen einen Paradigmenwechsel von der passiven Belehrung zur aktiven Erfahrung. Deshalb haben wir ein Schulfach eingeführt, das wir Herausforderung nennen. Dafür bekommen unsere Schüler in der Stufe 8, 9 und 10 am Anfang des Schuljahres drei Wochen Zeit, um eine Aufgabe zu meistern, die sie sich in den Wochen und Monaten vor den großen Ferien selbst gesucht und eigenständig vorbereitet haben. Jedem stehen 150 Euro zur Verfügung, davon müssen Unterkunft, Fahrtkosten und Verpflegung gezahlt werden. Drei Wochen auf dem Zeltplatz oder in einer Pension kann man sich davon natürlich nicht leisten, das heißt, die Jugendlichen müssen kreativ werden: irgendwo anklingeln, ihre Hilfe anbieten, mitarbeiten. Manche suchen sich eine Aufgabe für sich alleine – die Achtklässlerin Loukie hat zum Beispiel in drei Wochen einen 300-seitigen Roman geschrieben. Und Henriette ist auf einen Bauernhof in Südfrankreich gefahren, obwohl sie gar kein Französisch sprach, und hat dort für ihre Unterkunft und Verpflegung gearbeitet. Der Großteil der Schüler tut sich jedoch zu kleinen und größeren Teams zusammen.
Wer an keinem festen Ort ist, weil zum Beispiel eine Radtour oder Wanderung zur Aufgabe gehört, wird von Erwachsenen begleitet – das können Lehrer sein, Studenten, jemand aus einem freiwilligen sozialen Jahr, wir hatten auch schon ehrenamtliche Helfer aus der Wirtschaft, zum Beispiel eine Hotelmanagerin oder eine PR-Frau. »Die Begleiter gehören zur Gruppe, aber halten sich raus«, erklärt Shana auf einer Lehrerfortbildung. »Es soll ja unsere Herausforderung sein.« In der 8. Klasse fuhr Shana mit fünf anderen Mädchen mit dem Fahrrad nach Hiddensee, um Dünen abzuplaggen. Eine herausfordernde Aufgabe, die sich die Mädchen in Zusammenarbeit mit der
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